Wegweiser:

Die Macht der Krankenheilung

„Da aber das Volk dieses sah,

fürchtete es sich, und pries Gott,

der solche Macht den Menschen

gegeben hat.” Matthäus, IX, 8.

 

Es wurde berichtet von einem Maori auf Neuseeland, der ganz unerhörte Heilungen vollbringe. Der Mann sei ein getaufter Christ und er verlange von denen, die er heilen solle, daß sie die Heilung nur der „Heiligen Dreieinigkeit: — Vater, Sohn und Heiliger Geist”, danken dürften, ja er drohe, daß die Heilung nicht bestehen bleibe, sobald der solcherart verlangte Glaube in dem Geheilten schwinde.

 

In christlichen Kreisen aber sah man das Wirken dieses Maori als handgreifliche Bestätigung des Dogmas an…

 

Dann kam in Europa Herr Coué, verlangte nichts weiter von dem Kranken, als daß er an die Macht seiner eigenen Einbildungskraft glaube, und erzielte nicht weniger „wunderbare” Erfolge.

 

Und nun kommt schon wieder neue Kunde von einem Heiler, der durch bloßes Handauflegen allerlei Krankheit zum Verschwinden bringen soll.

 

Diesmal ist es ein buddhistischer Mönch — angeblich ein Chinese — der durch seine Heilungen in dem an „Wunder” gewohnten Indien Staunen und ehrfürchtige Scheu erregt.

 

Da er allein nicht mehr imstande ist, allen Kranken die zu ihm kommen, die Hände aufzulegen, so „überträgt” er seine Heilerkraft an fünf seiner Schüler. — —

 

Zeitungsmeldungen lassen erkennen, daß man die Tatsächlichkeit der Heilungen nicht zu bezweifeln vermag und daher — wie gewöhnlich in solchen Fällen — vor Rätseln steht.

 

 

Nun wird ja freilich von Zeit zu Zeit genug des Wunderbaren aus Ostasien berichtet, und bei näherer Nachprüfung bleibt dann oft recht wenig davon übrig, obwohl niemals die „durchaus glaubwürdigen Augenzeugen” in den ersten Berichten fehlen.

 

Was man aber hier von diesem Buddhistenmönch berichtet, ist durchaus nicht so wunderbar, daß man es schon aus bloßer Vorsicht bezweifeln müßte.

 

Zum Verwundern ist es vielmehr, daß man immer wieder staunend und um Erklärung verlegen vor solchen Heilungen steht, ja daß man sie selbst dem sympathischen und nüchternen Herrn Coué, der doch wahrlich sich keinerlei Wundermantel umhing, in manchen Kreisen nicht so recht glauben will. —

 

Freilich sprach Herr Coué nur von der „Autosuggestion”, während es sich hier um Kräfte handelt, denen eben durch die Autosuggestion nur die Fesseln abgenommen werden, aber das Wesentliche bleibt bei seinem Erklärungsversuch doch der Hinweis, daß Kräfte, die jeder Mensch in sich selbst trägt, die Heilungen bewirken.

 

 

 In Wahrheit kann kein Arzt der Welt auf eine andere Weise wirklich heilen, als dadurch, daß er diesen Kräften die Möglichkeit schafft, sich auszuwirken, einerlei durch welche Mittel er dazu gelangt, mag er auch chemische oder chirurgische Eingriffe vornehmen.

 

 Das ist nun nichts Neues und man hat sich von je her mit der billigen Erkenntnis beholfen, daß der Arzt nur die Heilkraft der Natur anregen könne, ansonsten aber mit den besten Medikamenten, ja selbst durch Entfernung kranker Organe, kaum viel vermöge.

 

 Es sind aber noch andere Dinge hier im Spiel, und die sympathisch-bescheidene Geste des Herrn Coué, daß er selbst gar nichts mit der Heilung zu tun habe, sondern nur lehre wie der Patient sich selber helfen könne, darf beileibe nicht als unumstößliche Mitteilung eines Tatbestandes aufgefaßt werden, selbst wenn Herr Coué in seinem tiefsten Innern von der Richtigkeit dieser Auffassung durchdrungen gewesen sein mag. —

 

Immer und überall wird die Persönlichkeit des Heilers von ausschlaggebender Wichtigkeit sein, einerlei, ob es sich um die durch Herrn Coué nun populär gewordene, von den amerikanischen sogenannten „Neudenkern” seit einem halben Jahrhundert bereits praktizierte Methode der Autosuggestion handelt, — um Glaubensheilung, oder Handauflegen, — oder schließlich um die Heilung durch medizinische und chirurgische Eingriffe.

 

 

Gewiß kann der Wille, besonders in seiner höchsten Potenz: als Imagination, als Einbildungskraft wirkend, im Menschen wahre „Wunder” vollbringen, und das gilt auch hinsichtlich der Freimachung jener Heilkräfte, die als automatisch wirksame Ordner in jedem menschlichen Organismus vorhanden sind, aber durch die leiseste Einrede der Gedanken schon gelähmt werden, so daß alles darauf ankommt, wie man am besten die Fesselung durch solche Gedanken-Einrede entferne.

 

Darüber hinaus aber handelt es sich hier — wie bei allen Bekundungen der Lebenskräfte — um ein Wirksam werden zweier Pole, deren einer im triebhaften Willen der Zellen des erkrankten Organismus zur Entartung, deren anderer im geistigen Willen (nicht „Wunsch”!) zur Gesundung zu finden ist.

 

Bei der Selbstheilung ist es unumgängliche Voraussetzung, daß der Kranke seinen Willen zur Gesundung objektiviere; ihn gleichsam sich selber „fremd” mache, damit die nötige Spannung entsteht zwischen dem organhaften Willen zur Krankheit und dem geistigen Willen zur Gesundung.

 

Das ist nicht immer ganz leicht und zuweilen fast unmöglich, während die Anforderungen an den Kranken auf ein letztes Minimum herabgesetzt werden, sobald der geistige Wille zur Gesundung: — zur Ordnung des im Organismus Ungeordneten wenigstens zu Anfang, von außen her auf ihn einwirkt und durch Influenzwirkung seinen eigenen geistigen Willen entsprechend zur Tätigkeit anregt.

 

Dieser äußere geistige Wille kann ein Kollektivwille sein, wie er an Wallfahrtsorten z.B. in Wirksamkeit ist, — er kann aber auch von einer einzelnen Persönlichkeit ausgehen und ist alsdann bedingt durch die einwohnende Kraft dieser Persönlichkeit, solchen „heilenden” Willen auf Andere übertragen zu können. —

 

 

Bekanntlich hat man auf dem Gebiete der medizinischen Heilpraxis unzähligemale die Erfahrung gemacht, daß gewisse Heilmethoden in der Hand des einen Arztes die erfreulichsten Heilerfolge sicherten, während andere, nicht minder tüchtige Aerzte mit den gleichen Methoden kaum etwas anzufangen wußten.

 

 Auch der Umfang des Wissens, ja selbst die Fülle der praktischen Erfahrung, vermag nicht Ersatz zu bieten für die angeborene Eignung zum wahren Heiler, und es sollte darum nur dann ein Mensch sich heilärztlichem Wirken zuwenden, wenn er diese Eignung: den geistigen Willen zum Gesundwerden alles Erkrankten auf Andere übertragen zu können, deutlich an sich wahrgenommen hat. —

 

Alles nur rein wissenschaftliche Interesse am inneren Gefüge des menschlichen Organismus und seinen pathologischen Veränderungsmöglichkeiten rechtfertigt dagegen nur das Streben nach reinem Forscherberuf, der dann indirekt den Kranken hohen Nutzen bringen kann, aber man sollte auf dem Gebiete der medizinischen Wissenschaft aufs strengste scheiden lernen zwischen der Eignung zum Forscher und der Eignung zum Heiler. — —

 

Beide Eignungen sind angeboren und lassen sich in ihrer ausgeprägt echten Form niemals erwerben, wenn auch so mancher Arzt, der, zum Forscher geboren, eine Heilpraxis betreiben muß, aus der Not eine Tugend macht, weil er aus rein menschlicher Hilfsbereitschaft heilen möchte, da man ihn nun einmal dazu gerufen hat, und dann vielleicht auch zuweilen recht zahlreiche Heilerfolge erzielt. —

 

Die Vereinigung beider Eignungen in einem Menschen ist so überaus selten, daß man hier füglich von ihr absehen darf. —

 

 

Was aber das Studium des kranken Menschen durch den Forscher angeht, der es ja keinesfalls entbehren kann, so dürfte es wahrlich auch dann zu ermöglichen sein, wenn er die eigentliche Heilpraxis dem geborenen Heiler allein überläßt. —

 

Wir haben genug Menschen unter uns, die geborene Heiler sind und wenn schon heute die kompliziertesten mechanischen Methoden zur Anwendung gelangen, um festzustellen, ob ein Mensch die rechte Eignung zum Lokomotivführer, oder zu irgend einem anderen technischen Berufe besitzt, so sollte es wahrlich auch gelingen, schon während der Studienzeit festzustellen, ob der angehende Mediziner zum Forscher oder zum Heiler taugt.

 

Es würde sich dann kaum mehr ereignen, daß irgend ein obskurer Wundermann den Ruf erlangt, alle erdenklichen Krankheiten heilen zu können, die der medizinisch gebildete Arzt nicht heilen konnte, weil er eben kein geborener Heiler war.

 

Ein solcher Heiler aber wird mit jeder Methode Heilerfolge erzielen, und seine erworbene Wissenschaft wird stets von seiner sicheren Intuition berichtigt werden.

 

 Bevor man aber zu der Erkenntnis kommt, daß der rechte Arzt vor allem geborener Heiler sein muß, werden alle neuen Heilmethoden, alle Reformen in der Heilkunst, nur sehr wenig Förderung bringen, und immer wieder wird man erleben, daß alle Welt aufhorcht, wenn irgend ein wirklicher Heiler auftaucht, während das Vertrauen zur wissenschaftlich fundierten Heilkunst mehr und mehr unterminiert wird. —

 

Es liegt solchem Verhalten der Menge stets ein sicherer Instinkt zugrunde, der eine Macht zu heilen im Menschen der dazu geboren ist erspürt, und sich wenig darum kümmert, ob ein solcher Mensch auch die wissenschaftliche Einsicht besitzt, sein Tun zu kontrollieren.

 

Der kranke Mensch will geheilt werden und trägt keinerlei Begehr danach, daß man ihn als einen „interessanten Fall” betrachtet, was er nur für den Forscher sein darf, aber niemals für den Heiler!