Hortus Conclusus:

Nochmals über Wahrheit und Wirklichkeit

„Wahrheit”  und  substantiell-geistige „Wirklichkeit”  sind  nicht  das Gleiche, auch wenn alles Wahre im Wirklichen gründet! Wahrheit ist immer ein Bild der Wirklichkeit, wenn auch — dem Anspruch des Wortes nach — unter allen Umständen ein klargeprägt „ähnliches” Bild, bei dem nur solche „Retouchen” mit Stichel und Schabeisen in Kauf genommen werden können, die dazu dienen, eben diese „Ähnlichkeit” noch  zu vertiefen und klarer zutage zu bringen. Während dieses Bild aber  immer „Bild” bleibt und niemals die ewige substantiellgeistige  Wirklichkeit  selbst ist, bleibt diese  ewig die  Ursache jeglicher Wahrheitserkenntnis. Ich treibe hier durchaus nicht etwa ein Spiel mit Worten! Die beiden Begriffe bezeichnen Konkretes, das genauestens  auseinandergehalten werden muß.  In dem Buche: „Der Weg zu Gott” ist schon vieles Hierhergehörige gesagt.

Wenn ich von ewiger geistsubstantieller „Wirklichkeit” spreche, so will ich das auf Erden mit irdischen Sinnen Unwahrnehmbare, in sich selbst Lebendige und jederzeit „Ewige” gemeint wissen, das Jesus „das Reich der Himmel” nennt: — das alle Dauer in sich allein umschließende Reich des substantiellen Geistes, der die einzige unausschöpfbare Fülle aller Kräfte ist — nichts, was mit dem „Denken” zu tun hat — nichts Erdachtes, — sondern ewigkeitsgezeugter „Raum”.  Weniges steht  dem inneren Auffinden dieser ewigen Wirklichkeit hindernder und  bösartiger im Wege, als der schauerlich  verhängnisvolle  Gebrauch, das Wort „Geist” anzuwenden, wenn von irgendwelchen Äußerungen des menschlichen Gehirns: — von Gedanken und Gedankenverknüpfung, „Gedankenleben”  und Denkerarbeit die  Rede sein soll. Wenn man diesen, durch die Tätigkeit  des irdisch-physischen Gehirns emporgewirbelten Gedankenrauch als „Geist” zu  bezeichnen gewohnt ist, dann hält es wahrhaftig schwer, sein Bewußtsein aufnahmebereit zu machen für den „creator Spiritus”, den Schöpfergeist der Ewigkeit, der  das aus sich selber souveräne „ewige Leben” ist und alles in seinem substantiellen  Sein umfaßt, was seines Reiches Zeugung  darstellt, aber nichts in sich aufnimmt, was  nicht in Ewigkeit aus ihm hervorgegangen  war. Nur weil der Erdmensch, in seinem irdisch unfaßbaren Kern,  geistiger Zeugung  „Zeugnis” aus aller Ewigkeit her ist, kann  er, der sich selbst aus dem ewigen „Augenblick”  in die trügerische Scheindauer der  kosmischen „Zeit” fallen ließ, dereinst wieder in  sein Reich eingehen, mitnehmend aus seinem irdischen Bewußtsein, was er mitnehmen will, soweit es den inhärenten Ordnungen dieses Reiches nicht widerspricht.

   Dieser ewigen „Wirklichkeit” gegenüber ist ihr nachgeformtes Bild: — die „Wahrheit”, — im Irdischen erfolgte Prägung, — Ausformung des Siegels der Ewigkeit in irdischem Siegelwachs! Der Mensch aber, der nicht das Siegel des ewigen Geistes in sich trägt, kann nicht die Wahrheit aus dem ewigen Wirklichen künden, auch wenn er es mit allen seinen irdischen, und allen Kräften seiner ewigen Seele will! — Es handelt sich ja hier nicht um das biedere menschliche „Die-Wahrheit-sagen-wollen”, sondern um  das Bezeugen des eigenen  Geprägtseins durch die ewige Wirklichkeit, und nur wer solchermaßen die Wahrheit aus der ewigen Wirklichkeit in sich trägt, kann aus der Wahrheit Kunde geben, weil sein eigenes Bewußtsein in der ihm eingeprägten Wahrheit leuchtend wurde und lebendig ist!