Die Weisheit des Johannes:

Die reine Lehre

 

es hohen Meisters reine Lehre, die er allein nur den Getreuen gab, reicht wahrlich weiter als die Lehren ethischer Natur, die er vor allem Volke sprach, und als jene, die man später aus der «Heidnischen» Weisen Schriften nahm um sie in des hohen Meisters Mund zu legen. –

Es war diese reine Lehre nicht seines Denkens Frucht, und nicht in frommer Verzückung der Ekstase hatte er sie erlangt.

 

Was er zu geben hatte an die wenigen Getreuen, die «das Geheimnis des Reiches Gottes» erfassen sollten, stammte aus dem Weisheitsgut der geistigen Gemeinschaft, der er zugehörte.

Uraltes, heiliges Wissen: – jedem derer, die es hier in diesem Erdenleben, als der geistigen Gemeinschaft Glieder, in sich selbst erlangen, nur in wachestem Erleben faßbar – formte er auf seine Weise und in seiner Sprache, so wie da jeder der «durch Selbstverwandlung Wissenden» stets nur die gleiche Wahrheit künden kann, in Bildern und in einer Sprache die ihm selbst zu eigen wurden, auch wenn in solcher Sprache und in solchen Bildern manches wiederkehren mag das alter Prägung ist.

So wußte er die Schüler die ihm folgen konnten einzuführen in das Innerste des Seins und ihnen eine Vorstellung von Gott zu übermitteln, die sehr wesentlich sich von der öffentlichen Priesterlehre unterschied.

 

Er sprach zu Menschen die aus keiner hohen Schule kamen und denen es genügte, wenn er ihnen von dem Urlicht das sich selbst als Urwort spricht, zu sagen wußte:

«GOTT IST GEIST, UND DIE IHN ANBETEN: IM GEISTE MÜSSEN SIE DIE WAHRHEIT ANBETEN.»

Was er den Getreuen aber unermüdlich zu zeigen sich mühte, war der Weg um in das Reich des Geistes zu gelangen, in dem «viele Wohnstätten» sind – vielerlei Möglichkeiten des Erlebens – je nach der Höhe der Anschauungsweise zu der sich des Menschen Geistiges, ist es einmal erweckt, zu erheben vermag.

Nicht immer ist es im gleichen Sinne zu verstehen, wenn der Meister vom «Reiche Gottes» spricht!

Wohl sagt er, daß das Reich der Himmel im Menschen sei, allein er weiß auch zu sagen, daß keiner das Reich Gottes «sehen» könne, der nicht «von neuem geboren» werde. Hier wird Verwirrung nur vermieden, wenn man weiß, daß einmal nur von der Art des Menschengeistes gesprochen wird, der latent die Erlebnismöglichkeit in sich enthält, durch die ihm das Reich des Geistes Gewißheit werden kann, doch ohne die Fähigkeit, sich in den höchsten Regionen geistiger Welten bewußt wie hier im Erdenleben und noch während dieses Erdenlebens, zu empfinden, – und ein andermal von dem höchsten Ziele des Menschengeistes: daß er – nach diesem Erdenleben – und vielleicht erst nach einer langen Vorbereitung in der geistigen Welt, eine neue Lebensform erlange, in der er erst sich selbst im Innersten des geistigen Reiches bewußt und wirkend erleben kann. –

 

Es sind hier verschiedene, aufeinanderfolgende Zustände im Auge zu behalten.

Der erste ist die Erweckung des Menschengeistes aus seinem Schlafe im Menschentiere, wodurch er, aus der Nacht der Nichterkenntnis erwachend, ahnend erfühlt, daß er nicht von dieser Erde ist: daß er aus einem Lebensreiche stammt, in dem das Leben anderer Gesetze Formung ist, als hier in dieser irdischen Erscheinungswelt. –

Hieraus ergibt sich als zweites dann das Entgegenstreben, dem Urlicht zu, aus dem, durch des Geisteshierarchisch geordnetes Leben stufenweise weitergeleitet, letzten Ursprungs das Leben des Menschengeistes in ewigem Sein sich findet.

Diesem Entgegenstreben aber kann noch während dieses Erdendaseins Erfüllung werden, indem ein «Geistesfunke», ein Strahl aus dem Urlicht – durch alle hierarchischen Stufen geistigen Lebens herabgeleitet – im Menschengeiste und aus dieses Menschengeistes Kräften, einen geistigen Organismus schafft, durch den sich der Menschengeist vereinigt findet mit diesem göttlichen «Geistesfunken« oder «Strahl» des Urlichts, den er erkennt als seinen «lebendigen Gott».

Nun ist ihm sicherste Gewißheit geworden was vorher nur ahnendes Erfühlen war: – er ist sich seines Lebens im Geiste und aus dem Geiste bewußt!

Noch aber ist er keineswegs fähig, auch jenes hohe Geistesreich bewußt und handelnd betreten zu können, aus dem er einst sich selbst durch seine Willensneigung löste in jenem «Fall» aus hohem Leuchten, der ihn an diese irdische Erscheinungswelt verhaftet hat. –

Hierzu ist anderes vonnöten; und wenn er auch der Erde irdische Gestaltung einstens nicht mehr trägt und sich in Geistesform nach seines Körpers Erdentod bewußt und lebend findet in den niederen Regionen geistigen Lebens, so bleibt ihm dennoch jenes höchste, innerste der geistigen Erscheinungsreiche – «das Reich Gottes» im höchsten Sinne – solange verschlossen, bis er in ihm «aufs neue geboren» wird: aus geistigem Samen neu gezeugt – aus den Urwassern des Lebens im Geiste.

 

«Geburt» in irdische Erscheinungswelt ist die Frucht der Weiterzeugung tierischen Lebens und ermöglicht allein Bewußtsein und Handeln in dieser irdischen Erscheinungswelt.

Wer nicht in sie geboren wird, kann anders nicht in sie hineingelangen: – sie ist ihm nicht erschlossen, auch wenn er um sie wüßte.

So auch kann in keine der geistigen Erscheinungswelten – und alles was im Reiche des Geistes lebt, ist sich nur erfaßbar als geistige Erscheinung – ein Menschengeist hineingelangen, er sei denn hineingeboren.

Ursprünglich ist nun der Menschengeist in jenes innerste «Reich Gottes», aus Gott gezeugt, von Ewigkeit her «geboren», – ließ aber den geistigen, gottgeborenen Organismus – in diesem Bilde gesprochen – im innersten Reiche des Geistes zurück, allwo er wieder der Kraft der Gottheit sich verschmolz, so daß eine individuelle «Wiedergeburt» erfolgen muß, soll sich der Menschengeist in jenem «Reiche Gottes» einst bewußt und handelnd finden können.

Vorher ist der Menschengeist, auch bei höchster Entfaltung durch das Erdenleben, nur seiner selbst und seines lebendigen Gottes bewußt, und findet sich nach dem «Tode» des Erdenkörpers nur in jenen niederen geistigen Welten, deren Organismus ihm keimhaft erhalten blieb, auch nach seinem Falle in tierische Erscheinungswelt, – als einzige geistige Daseinsform die er hier noch besitzt und zu entfalten vermag durch seine Haltung im Erdenleben. Von diesem höchsten und letzten Ziele allein aber läßt der Verfasser der alten Sendschrift den Meister sprechen:

«WENN EINER NICHT WIEDERGEBOREN WIRD AUS DEM WASSER IM GEISTE» – AUS GEISTIGEM SAMEN – «SO KANN ER IN DAS REICH GOTTES NICHT EINGEHEN.»

Und zur Bekräftigung und Verdeutlichung läßt er den Meister weiter sagen:

«WAS AUS DEM FLEISCHE GEBOREN IST, DAS IST FLEISCH: UND WAS AUS DEM GEISTE GEBOREN IST, DAS IST GEIST.»

Damit nur ja kein Zweifel sei, daß hier die Erzeugung eines wirklichen Organismus erfolge, wie aus dem Fleische, so aus dem Geist…

 

Die einzigen Menschen auf dieser Erde aber, denen schon während ihres Erdenlebens diese «Neugeburt» im Geiste ward, und die daher, zugleich mit ihrer Erlebnisfähigkeit in irdischer Erscheinungswelt, bewußt im innersten Reiche des Geistes leben und handeln, sind des Urlichtes Leuchtende, deren der hohe Meister aus Nazareth einer war. –

Nur ein solcher vermag in Wahrheit von sich und seinen Brüdern zu sagen:

«WIR REDEN WAS WIR WISSEN, UND WAS WIR GESEHEN HABEN BEKUNDEN WIR.»

Oder auch jenes andere, später einer hinzugekommenen Erzählung eingefügte und dort kaum mehr kennbare Wort:

«IHR BETET AN, WAS IHR NICHT WISSET, WIR ABER WISSEN WAS WIR ANBETEN.»

Dem hohen Meister gleich muß jeder, der im Urlicht Leuchtenden bekunden :

«ICH UND DER VATER SIND EINES.

WER MICH SIEHT, DER SIEHT AUCH DEN VATER.»

Denn eine andere Selbstdarstellung hat der «Vater» im Urwort nicht auf dieser Erde, als den Leuchtenden des Urlichts, den er sich als Selbstdarstellung bereitet hat, und dem er, noch während der Leuchtende in irdischer Erscheinung lebt, die Geistesform aus sich erzeugte, die ihn bewußt werden ließ in geistiger Erscheinungswelt, ohne ihn dieser Erdenwelt zu entziehen. –

Er ist wahrhaftig des «Vaters» im Urwort «eingeborener» «Sohn» geworden! – – –

 

Aus seinem bewußten Selbsterleben als geistiger «Sohn» des ewigen geistigen «Vaters» im Urwort: – aus seinem Bewußtsein in geistiger Erscheinungswelt, – kündet der hohe Meister die reine Lehre.

«WOHL KENNT IHR MICH UND WISSET UM MEINE HERKUNFT; ABER NICHT VON MIR SELBST BIN ICH GEKOMMEN» – NICHT WAS ICH IRDISCHER HERKUNFT NACH BIN, BERECHTIGT MICH ZUR LEHRE UND LÄSST MICH SOLCHERART ZU EUCH REDEN – «SONDERN ES SANDTE MICH EIN WAHRHAFTIGER, EINER DEN IHR NICHT KENNT.»

«WENN ICH AUCH VON MIR SELBER ZEUGNIS GEBE, SO IST DOCH MEIN ZEUGNIS WAHR, WEIL ICH WEISS WOHER ICH KAM UND WOHIN ICH GEHE.»

«JA, DER MICH GESANDT HAT IST MIT MIR UND ER LÄSST MICH NICHT ALLEIN, DA ICH ALLEZEIT TUE WAS IHM WOHLGEFÄLLT.»

 

Und in der unwiderlegbarsten Gewißheit, daß er in seiner Umgebung der Einzige ist, der da weiß, was nötig ist, damit der Erdenmensch sich einst «an seinem Letzten Tage» in dieser Erscheinungswelt, bereitet finde zu ewiger «Geburt» in geistiger Erscheinungswelt, spricht er das gewaltige Wort:

«ICH BIN DER WEG, DIE WAHRHEIT UND DAS LEBEN. NIEMAND KOMMT ZUM VATER AUSSER DURCH MICH!»

Denn das Geistgezeugte, das er den «Sohn» nennt und als das er sich selbst erlebt als Leuchtender des Urlichts, ist für allen Menschengeist das Gleiche und in ihm allein wird dem Menschengeiste unvergängliches Leben in der Geisteswelt.

Dieses Leben erlebt er selbst und von ihm kann er künden:

«WAS MIR MEIN VATER GEGEBEN HAT IST GRÖSSER ALS ALLES, UND NIEMAND KANN ES DER HAND MEINES VATERS ENTREISSEN.»

 

Aber nicht für sich selbst allein will er im unvergänglichen Leben sein, und so spricht er das Wort:

«WER AN MICH GLAUBT, DER GLAUBT NICHT MIR, SONDERN DEM, DER MICH GESANDT HAT.

ICH BIN ALS LICHT IN DIE WELT GEKOMMEN, DAMIT JEDER DER AN MICH GLAUBT, NICHT IN DER FINSTERNIS BLEIBE.

DENN ICH HABE NICHT VON MIR SELBST GEREDET, SONDERN DER VATER DER MICH SANDTE, DER HAT MIR DAS GEBOT GEGEBEN, WAS ICH REDEN UND LEHREN SOLL.

UND ICH WEISS, DASS SEIN GEBOT AUS EWIGEM LEBEN KOMMT.

DARUM, WAS ICH REDE, REDE ICH SO, WIE ES MIR DER VATER GESAGT HAT.»

 

Wie aber im Leuchtenden des Urlichts bereits in dieser Zeit des Erdenlebens der «Vater» im «Sohne» zur Selbstdarstellung kommt, – wie der Leuchtende selbst sich erlebt als «Sohn» des ewigen «Vaters», des höchsten geistigen Oberhauptes aller Leuchtenden auf Erden, aus dem und in dem ein jedes Glied dieser geistigen Gemeinschaft lebt in absoluter Vereinigung, so wird auch durch ihn nur der «Vater», der urgezeugte Mensch der Ewigkeit im Urwort, erkannt in erdenmenschlicher Offenbarung. – –

«WIE DER VATER LEBEN AUS SICH SELBER HAT, SO HAT ER AUCH DEM SOHNE LEBEN AUS SICH SELBST GEGEBEN.»

Aber gleichwie Moses in der Wüste die eherne Schlange aufgerichtet hatte, damit jeder der im Glauben zu ihr aufsehe, genesen sollte, so muß auch im Menschen dieser Erde das Bild des «Menschensohnes», des Leuchtenden, «erhöhet» werden über alles andere, in gläubigem Bewußtsein der Wahrheit, daß es das Urlicht selbst ist, das in seiner Selbstaussprache als das Urwort den ewigen, urgezeugten Menschen des Geistes «spricht», der ewiglich in seiner Lichtgezeugtheit im Urwort verharrt, und «Vater» wird den Leuchtenden, damit durch sie der Menschengeist auf dieser Erde wieder Kunde empfange von seiner Urheimat und von dem Wege der zu ihr zurückführt. –

«GLEICHWIE MOSES DIE SCHLANGE IN DER WÜSTE ERHÖHTE, SO MUSS DER MENSCHENSOHN» – DER KÜNDER AUS DEM REICHE DES GEISTES UND DIE KUNDE DIE ER BRINGT – «ERHÖHET WERDEN, DAMIT ALLE DIE AN IHN GLAUBEN, NICHT VERLOREN-GEHEN»– IN AEONENLANGER NACHT DER NICHTERKENNTNIS - «SONDERN DAS LEBEN HABEN.»

 

Und nochmals, um zu zeigen, daß nur dem Bestätigung wird, der so den Leuchtenden des Urlichts vertraut, wie jene der wundertätigen Schlange des Moses vertrauen mußten, die genesen wollten, läßt der Verfasser der alten Sendschrift den Meister sprechen:

 «WENN IHR DEN MENSCHENSOHN WERDET ERHÖHET HABEN, DANN WERDET IHR ERKENNEN DASS ICH ES BIN, UND DASS ICH NICHTS WIRKE AUS MIR SELBST» – ALS ERDENMENSCH, NACH MEINER MENSCHLICHEN WILLKÜR – «SONDERN REDE WAS MEIN VATER MICH GELEHRET HAT.»

Immer wieder wird betont, daß der Leuchtende des Urlichts in dem die höchste geistige Erlebnisfähigkeit in einem Menschen dieser Erde auf der Erde Bekundung findet– der die höchste Geistigkeit dem Tiere zu vereinen weiß – nicht seine eigene erdenmenschliche Weisheit lehrt, sondern aus der Fülle des Erkennens spricht, das ihm der «Vater» offenbart.

«MEINE LEHRE IST NICHT MEIN, SONDERN VON DEM, DER MICH SANDTE.

 WILL EINER NACH DESSEN WILLEN TUN, SO WIRD ER INNEWERDEN, OB DIESE LEHRE AUS GOTT IST, ODER OB ICH AUS MIR SELBER GEREDET HABE.»

Als Bedingung jeglicher Bestätigung der Lehre des Leuchtenden wird somit gesetzt, daß der Schüler nicht nur die unermeßliche Bedeutung erkenne, die der Tatsache innewohnt, daß ein sterblicher Mensch vom innersten Reiche des Geistes Kunde bringen kann, sondern daß er auch nach den Gesetzen des Geistes handelt, von denen der Leuchtende nur nach dem «Willen» seines «Vaters» und im Einklang mit ihm, zu künden kommt. –

 

Doch nicht auf diese äußere Erscheinungswelt der physischen Sinne allein beschränkt sich das Wirken des Leuchtenden.

Er wirkt ebenso im innersten Reiche des Geistes – im Reiche der Ursachen – wie auf dieser Erde, wie auch in jenen niederen geistigen Welten, die der Menschengeist betritt wenn er diese Erde verläßt, und von diesem Wirken kündet er mit den Worten:

«ES KOMMT DIE STUNDE UND SCHON IST SIE GEKOMMEN, DA DIE TOTEN (DURCH MICH) DIE STIMME DES SOHNES HÖREN WERDEN, UND DIE SIE HÖREN, WERDEN LEBEN» – DENN SIE KANN DER LEUCHTENDE AUFERWECKEN: – KANN SIE BEREITEN ZU DER NEU GEBURT IM GEISTE, DIE DER VATER WIRKT. – –

Doch, daß man auch nicht glaube, daß er als «Sohn» des Vaters etwa frei nach Willkür schalte, weiß er zu sagen:

«DER SOHN KANN NICHTS AUS SICH SELBER TUN, WENN ER ES NICHT TUN SIEHT DEN VATER, DENN ALLES WAS DIESER TUT: AUF GLEICHE WEISE TUT ES AUCH DER SOHN.

NIEMAND KANN ZU MIR KOMMEN, WENN DER VATER, DER MICH GESANDT HAT, IHN NICHT ZU MIR ZIEHT, DAMIT ICH IHN AUFERWECKE AN SEINEM LETZTEN TAGE.»

 

Aber keinem Menschengeiste kann im Reiche des Geistes das dauernde Leben werden, wenn er nicht glaubt, daß er dieses Leben finden wird. –

Und von diesem Glauben allein, der ein selbstgewisses Vertrauen sein muß, hatte der Meister einst gesprochen im Hinblick auf seine Lehre, die alle Gewißheit aus der Geisteswelt durch eines Menschen Mund auf diese Erde brachte:

«DIESES ABER IST DAS BROT DAS VOM HIMMEL HERABKAM, DAMIT, WER DAVON ISST, NICHT STERBE.»

Es stand dieses Wort einst an der gleichen Stelle, an der gesagt ist:

«WER AN MICH GLAUBT, AUS DESSEN LEIBE WERDEN STRÖME LEBENDIGEN WASSERS FLIESSEN.»

Er selbst wird geistiges aus sich weiterzeugen in der geistigen Erscheinungswelt, denn vom «Leibe» des Geistgeborenen ist hier die Rede. – –

Und von dem gleichen «Leibe» des Geistgeborenen wußte der Meister dort zu sagen, daß dieser «Leib» in geistiger Erscheinungswelt so «wirklich» sei wie «Fleisch» und «Blut» in dieser irdischen Erscheinungsform, so daß nur der im Geiste bewußtes Leben haben könne, der dieses geistigen Leibes Eigner geworden sei.

«WENN IHR DAS FLEISCH DES MENSCHENSOHNES NICHT ERLANGEN WERDET UND SEIN BLUT NICHT IN EUCH SEIN WIRD, SO WERDET IHR DAS LEBEN NICHT IN EUCH HABEN.»

 

Alles was nun in der heute überlieferten Gestaltung der Sendschrift an der Stelle steht, an der das Wort vom «Brote» sich den Worten vom «Fleisch» und «Blute» mengt, ist spätere Umformung und wohlerwogene Zutat.

Man fand das Wort von dem geistigen «Leibe» wohlgeeignet, den neuen Kult zu stützen, der aus den Kultgepflogenheiten mystischer Glaubensgemeinden entstanden war, wie sie der Orient in jenen Zeiten allerorten kannte.

So formte man des Meisters Worte derart um, daß sie von seinem eigenen, erdenhaften Fleische und Blute zu handeln schienen und nicht von dem, was ihm im innersten Reiche des Geistes Träger seines geistigen Bewußtseins war, wie hier auf Erden Fleisch und Blut sein irdisches Bewußtsein trug. – –

Man wiederholte diese eigene Glaubensmeinung in der Abschrift dann in mannigfacher Paraphrase, indem man sie zugleich den Worten die vom «Brot vom Himmel» handelten in gleicher Paraphrasierung eng verband.

 

Wohl waren später unter denen die des neuen Kultes Liturgie und Riten formten, manche Hocherleuchtete und «Wissende», allein sie hatten allbereits schon mit Bestehendem zu rechnen und suchten durch Auslegung umzuwerten, was sie dem Wesen nach als fremdes Kultgut eingewurzelt fanden.

Indessen endeten die einen als ausgestoßene «Ketzer», während der anderen Deutung nur insoweit angenommen wurde, als es möglich schien, auch ohne die aus alten Heidenkulten überkommenen Lehren zu gefährden, denen der Kultkreis seinen mystischen Nimbus dankte.

Doch ist es wahrlich kein «Zufall», daß selbst der heute erhaltene Text der Sendschrift allein nichts weiß von jenen Worten der drei älteren Berichte, die sie den Meister bei dem letzten Osterfestmahl sprechen lassen, und die des gleichen Kultes Stütze wurden! – –

Wie hätte doch gerade der Verfasser, dem man die falschen Meisterworte von des Meisters erdenhaftem Fleisch und Blut zu unterschieben wußte: – von seinem «Fleische», das «wahrhaftig eine Speise» und seinem «Blute», das «wahrhaftig ein Trank» sei, mit denkbar feierlichster Bekräftigung jene Worte beim Ostermahl verzeichnet, wäre ein einziger Ausspruch auch nur ähnlichen Sinnes von ihm an der gefälschten Stelle berichtet worden!

So aber wußte er nur zu gut, daß Vorstellungen alter Heidenkulte hier ein neues Leben in des hohen Meisters Namen sich begründet hatten.

 

– – –

 

Gerade an diesem Punkte schied sich ja das geistige Erfassen in dem er lebte und die Seinen festigen wollte, von der Lehre und dem äußerlichen Kulte die sich um des Meisters Namen rankten, und zu der Zeit als der Verfasser seine Sendschrift schrieb, schon mancherlei Erfolg verzeichnen konnten, da sie den mystischen Kultgemeinden die man allerorten vorgefunden hatte, in jeder Art des Meisters Lehre anzugleichen suchten. – –

 

Die ganze alte Sendschrift ist nur zu verstehen, wenn man weiß, daß sie geschrieben wurde um den Gegensatz zu zeigen, in dem des hohen Meisters reine Lehre, die zu jeder Zeit nur Wenige erfassen konnten, zu der neuen Glaubensmeinung stand, die mehr und mehr die Geister fesselte, und nicht zum wenigsten darum Verbreitung fand, weil sie das Neue so dem Überkommenen zu einen wußte, daß alles was die Zeit an mystischer Lehre bot, in ihr zu neuer Geltung kam.

Da sich in solche Glaubensmeinung aber manches Wort des Meisters mischte, das auch den Schülern des Johannes heilig war, so wollte der Verfasser die in seinem kleinen geistigen Kreise Schwankenden durch seine Sendschrift schützen vor der drohenden Gefahr, dem äußeren Kult anheimzufallen. –

Den Zweck, den sie erfüllen sollte, hat seine Sendschrift aber auf die Dauer nicht erreicht.

Die letzten Nachfolger der Schüler des Johannes mußten vor dem neuen äußeren Kulte weichen, und von dessen Gläubigen als «Ketzer» angesehen, sich verbergen, so daß schon kaum ein Menschenalter später keiner mehr zu finden war, der in der reinen Lehre lebte.

 

Als dann die alte Sendschrift in die Hände frommer Glaubenseiferer des neuen Kultes gekommen war, fand bald dieser, bald jener Veranlassung, dem Texte, den man guten Glaubens für ein Werk des Jüngers Johannes halten konnte, all das einzufügen, was ihn nach Möglichkeit geeignet machte, in den Versammlungen als Lehrtext verlesen zu werden.

Die Ehrfurcht vor dem «Wort der Schrift» hatte in jenen ersten Zeiten des neuen Glaubens nicht die Bedeutung die sie später erlangte.

Weit wichtiger war der Kult des neuen Erlösergottes und die Verteidigung der Glaubensmeinung gegenüber Juden und Heiden.

So wurden unbedenklich Texte verändert, wie die Bedürfnisse des Kultes es verlangten, der nun den Formen alter Mysterienkulte neue Auslegung zu geben suchte, und ebenso unbedenklich änderten Juden- und Heidenchristen, aus denen der Kultkreis bestand, was in den Berichten ihnen bedenklich schien vor ihren früheren Glaubensgenossen.

Man glaubte immer auf solche Weise nur der Verbreitung des «wahren» Glaubens zu dienen, und letzten Endes ganz in der Absicht der alten Verfasser zu handeln.

Fast bleibt es so ein Wunder, daß trotz allem doch noch der Urschrift Spuren da und dort erhalten blieben, wenn auch der ursprüngliche Sinn sehr vieler Einzelworte heute in sein Gegenteil verkehrt erscheint.

Wer aber tiefer schürft und die Verschüttung wegzuräumen sucht, kann heute noch allhier die Fundamente eines alten Tempels finden, in dem die reine Lehre einst Erfüllung fand, die der hohe Meister, als ein Leuchtender des Urlichts, seinen nächsten Schülern übermittelt hatte.