Das Geheimnis:

Die Felseninsel

SEIT jenem Abend im Garten der Trattoria hatten die Freunde gar oft Gelegenheit gefunden sich auszusprechen, und immer vertrauter sahen die beiden älteren sich in der Geisteswelt ihres jüngeren Gefährten.

Der Weg der Reise, den man sich ohne Zwang erwählen konnte, führte sie stets mehr nach Süden, und so manches Schöne war ihnen seither begegnet.

Aber endlich sehnten sie sich doch aus dem Lärm der Städte und ihrer Überfülle der Werke hoher Kunst, so daß man nun übereingekommen war, auf einem Felseneiland, das gleichsam wie ein Wächter vor dem weiten Golfe einer der lärmendsten Städte des Südens aus dem Meere wächst, für einige Tage noch der Ruhe zu leben.

 

*

 

Ein wunderlicher Zufall wollte, daß man das kleine Schiff der Reisenden mit Böllerschüssen zu empfangen schien.

Man feierte das Fest des Heiligen der Insel, und wenn auch erst am Tag darauf die eigentliche Feier war, so kannte doch die Festesfreude keine Grenzen, und die ganze Nacht vor seinem hohen Tage konnte man sich leicht in einer stark vom Feind bedrohten Festung wähnen: also donnerten in einemfort die Freudenschüsse.

Es war nicht viel an Schlaf zu denken in dieser Nacht und die drei Fremden argwöhnten schon, auch hier die Ruhe nicht zu finden, die sie suchten.

Als aber des anderen Tages die große Segens prozession des Heiligen, die seinen Verehrern erneut willkommenen Anlaß bot, ihrer Frömmigkeit so lärmenden Ausdruck zu geben, unter den alten Gesängen, im Regen der Rosenblätter, die man dem silbernen Bildnis zuwarf, endlich vorübergezogen war, fand es sich doch, daß die Freunde staunend, und eher als erwartet, die köstlichste Stille genießen konnten.

 

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Jenseits der kleinen Stadt, die der Insel Höhensattel krönt, schritten sie nun in blendendem Lichte dahin zwischen Ölbäumen und Zitronengärten, Weingeländen und blumenreichen Hängen, den Duft des Südens atmend und berauscht von all der Farbe, die sich ihrem Auge bot.

Der Ölbaum stand allenthalben in voller Blüte, während die Zitrone in strotzender Reife eine Größe erreichte, wie sie die Reisenden bisher noch nicht gesehen hatten.

Es war kaum zu fassen, woher der Boden die Kraft zu nehmen wußte, die Rosenfülle und die schwere Bürde der Glyzinien hervorzubringen, die hier über alle Mauern rankte!

So kam man allmählich dem jäheren Abhang nahe, der in bunter, blütenüberschütteter Wildnis, zwischen schroffen Felsenklippen sich zum Meere senkte, das in leuchtendstem Kobaltblau sich allmählich der glänzenden Ferne einte, während zunächst den Ufern hell smaragdgrüne, kleine Golfe an die Felsenwände schlossen.

Wo aber der Meeressand eine seichtere Stelle schuf, dort hoben sich Wunderseen empor, gleich rundgerandeten Flächen flüssiger Türkise.

In solcher Zauberwelt hatte man schmale Fußpfade betreten, die über lockeres Geröll hinab zum Strande führten, aber noch auf halber Höhe war das nahe Ruheziel erreicht: – jene alte Mithrasgrotte, in der einst vor Jahrtausenden der Sonne göttliche Ehre wurde; in der zur Zeit der Frühlingssonnenwende geheiligte Mysterien die Mysten weihten, die in sieben Graden, und von Läuterung zu Läuterung stets schwererem Gebot gehorchend, hier sich ihrem Gotte einten, als dessen Abbild ihnen der lichte Lebensspender: das die Erde bestrahlende Gestirn des Tages galt.

Auf „hohem Berge” wohnte nach ihrer Lehre zugleich auch auf dieser Erde das Licht, das da in geheimnisvoller Felsengrotte sich den Herzen offenbarte und jeden zu erreichen wußte, der den Mut besaß, die Prüfung zu bestehen, und der in seiner Seele die Symbole fühlend in sich selbst zu deuten fähig war, die weise Priester seinen Augen zeigten. – – –

 

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Die drei Freunde traten ein in dieses kühle Heiligtum, und da jeder der Drei wohl wußte, wie ungleich gottesnäher das einst hier geübte „Heidentum” sich fand, als mancher spätere, dem einen, wahren Gotte selbstgefällig nur allein als „angenehm” geglaubte Kult, so ließen sie willig ihre Seelen von dem Geheimnis ergreifen, das hier den Felsenwänden zu entströmen schien, die längst nur noch in schwachen Spuren zeigten, daß ehemals die Kunst der Wissenden sie reich umkleidet hatte. –

 

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Man mochte sich geraume Zeit bereits hier so mancher Empfindung hingegeben haben, bevor der älteste der Freunde die Stille brach und meinte:

„Es ist doch sonderbar, daß diese Menschen, denen Gott im Lichte sich bezeugte, Grotten im Gesteinder Erde wählten, die Mysterien zu feiern, aus denen ihnen Lichterkenntnis werden sollte, und daß sie nicht statt dessen draußen in des Sonnenlichtes Fülle ihre Liturgien übten! –”

Doch während man unwillkürlich – als dürfe hier an der Stätte, die einst nur heiligste Erkenntnisworte und geheime Hymnen hörte, kein profanes Wort gesprochen werden – zum Ausgang kehrte, um unter schattigem Gesträuch sich Ruhesitze auszuwählen, nahm der Jüngste der Drei das Wort und sprach:

„Die Erde ist es, der wir dem Leibe nach entstammen, und in den Schoß der Erde müssen wir uns – sei es nur im Fühlen, oder so wie diese Mysten es auch äußerlich zu tun für richtig hielten – vorerst bergen, bevor wir ,neu geboren’ werden können…

Nicht umsonst wurden die Mysterien der Alten, je heiliger sie ihnen schienen, fast stets in Krypten und Felsengrotten begangen, und selbst die Weihetempel, deren Säulenwald den Heutigen unverständlich scheint, wurden noch symbolisch als Innenräume der Erde empfunden. – – –

Im Innern der Erde wird jedes Gebäude verankert, und je höher es sich erheben soll, desto tiefer müssen seine Fundamente reichen! –

So müssen auch wir: soll der Tempel, der wir selber sind, mit seiner Kuppel in das Reich des reinen Geistes ragen, den Grundstein im Innern der Erde legen, damit er dort verankert ruht, während wir Baustein auf Baustein fügen, nach einem Plan, der in uns selbst sich offenbart.

Wollen wir anders handeln und auf der Erde Oberfläche uns zu erbauen erkühnen, so gleichen wir nur zu sehr jenen Frevlern der Sage vom ‚Tempel zu Babylon’, der in sich selbst zerfiel, da die bauenden Kräfte sich nicht mehr zu verstehen wußten…

Zwar mag man glauben, auch auf dem Oberflächengrund der äußeren Erkenntnis, den uns irdisches Wähnen und Meinen gibt, einen Tempelturm errichten zu können, der in den Himmel ragt, aber wer da in solcher törichten Weise baut, dem halten die wahren Meister der geistigen Baukunst sich fern, und er ist nur auf Erdenkräfte niederer Art verwiesen, die ihm zwar für lange Zeit als scheinbar tüchtige Bauleute dienen; aber ist die höchste Höhe dann erreicht die ihre Kraft noch beherrschen kann, dann wird ,ihre Sprache verwirrt’, so daß sie zerstören müssen, was sie vordem schufen.....

 

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In einer Hirtenhöhle ward nach alter Sage der geboren, den sie ‚Erlöser’ nennen! – –

Aus einem Felsengrabe ward ihm nach gleicher Kunde seine Auferstehung! – – –

Lassen Sie ruhig hier einmal alles ‚Historische’ beiseite und betrachten Sie nur den tiefen Symbolgehalt, der solchen Worten innewohnt und – richtig verstanden – aus der Sage ein Gefäß der erhabensten Wahrheit macht! – –

Wer nicht, wie der hohe Meister, von dem hier die Rede ist, in tiefster Erde ankert, der wird gewiß nicht wie er ,in den Himmel aufgenommen’! – – –

 

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Unser eigener Leib ist letzten Endes für den Geist die Höhle der Erlösung; ist die ,Erde’, in deren innerste Tiefen wir erst hinab steigen müssen, um in ihnen den Grund zu legen, der unseren geistigen Tempelbau tragen kann. –

Die meisten aber möchten ihren geistigen Tempel erbauen, indem sie – noch törichter als jene sagenhaften Erbauer des Turmes zu Babylon – zuerst die Kuppel zu wölben versuchen, und sind dann gar sehr betroffen, wenn ihr Werk alsbald in sich selbst zusammenstürzen muß. –

Sie fangen im Kopfe an und wölben kühne Gedankenbogen, bevor sie im Innersten des Leibes, mit allen Fasern fühlend, fest zu verankern wußten, was die Kuppel stützen und tragen könnte! – – – – –

 

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Das Herz ist der Mittelpunkt des körperlichen Lebens, und wenn es zu schlagen aufhört, hat dieses Körpers Leben sein Ende gefunden.

Aber es ist durchaus nicht nur poetisches Bild, wenn dem Herzen auch in bezug auf seelisches Fühlen und Erleben, bei allen Völkern und zu allen Zeiten die bedeutsamste Wertung wird! – –

Gewiß kann kein Anatom im Herzen des Körpers jemals die Seele finden; – aber alle unsere körperlichen Organe entsprechen korrelativen seelisch-geistigen Organen, und wenn nun in geistiger Bedeutung vom ‚Herzen’ gesprochen wird, so ist nur vom Herzen des geistigen Organismus die Rede, dessen Regungen jedoch zum Herzen des Körpers – während des Erdendaseins – in steter Wechselbeziehung sind: so daß gleichsam das Herz des Erdenleibes den Resonanzboden bildet, durch dessen verstärkende Wirkung uns Menschen alles seelisch-geistige Erleben mit größtmöglichster Klarheit zu Bewußtsein kommt. – – –

Auch das Tier hat ja die gleichen Körper organe, aber es fehlt ihm der geistige Organismus, der ihnen entspräche, und was man so gemeinhin die ‚Seele’ des Tieres nennen kann, ist nichts anderes als der Gesamtkomplex seiner feineren fluidischen Körperkräfte, die man ja, in Unkenntnis befangen, meist auch beim Menschen schon der ‚Seele’ zuzurechnen dürfen glaubt…

Der dem Tiere gleiche Leib ward einst des aus seinem geistigen Urzustände ‚gefallenen’ Geistesmenschen selbstgesuchte Zuflucht, und dieser gleiche Tieresleib, in dem er sich nun findet, sobald ,seine Zeit’ gekommen ist, wird ihm auch zur »Höhle der Erlösung’, denn der Geist verlor auch in seinem ‚Falle’ keineswegs die Schöpferkraft, so daß er sich selbst den Formen des Tierleibes gleichzubilden wußte, so allein erst auf Erden erlösbar werdend, da er nur so dem Bewußtsein des Menschentieres erfaßbar wird. – – –

 

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Wer dieses unsagbar tiefe Mysterium in seiner unermeßlichen Tragweite fühlend erkannte, dem wird hinfort sein Erdenleib gewiß nicht mehr als Hinderung und lästiger Ballast erscheinen bei seinem Streben nach Bewußtwerdung im reinen Geiste.....

,Was ihr auf Erden bindet, soll auch im Himmel’ – im Reiche des reinen Geistes – ‚gebunden sein, und was ihr auf Erden löset, soll auch im Himmel gelöset sein.’ –

Es gibt keine wahrhafte Erlösung für den Erdenmenschen, es sei denn: im Leibe und leiblich empfindbar durch den, seinem Leibe gleichgeformten, lebendig substantiellen Geist!! – – –

Erst wenn er in seinem ganzen Selbst empfinden durch den Erdenleib, seines gleichgeformten geistigen Lebens innewird, ist er ,in den Geist gelangt’, und dann erst darf er ohne Furcht vor Täuschung seinem Denken zugestehen, die hohe Kuppel zu wölben, die den Tempel des Geistes weithin sichtbar bekrönen soll. –

Vorher ist alles, was er bauen mag, nur besten falls eine interessante Fassade, die der erste Sturmwind stürzt; und wenn er diesen Erdenleib der Erde wiedergeben muß, wird er nicht wissen, wohin er sich bergen könnte, denn was erbaute, war nur für Erdenaugen wahrnehmbar und entschwindet mit dem Erdenkörper seinem menschlichen Bewußtsein, das, seiner Geistigkeit noch nicht geeint, fortan nur Schein gebilde um sich gewahrt. – – –

So durfte denn der hohe Meister wahrlich sagen:

‚Wirket solange es Tag ist, denn es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.’ – – –

Diese ‚Nacht’ aber ist nichts anderes als die mangelnde Fähigkeit, ohne des Körpers Resonanz die Stimme des eigenen ewigen Geistes, so wie es hier auf Erden möglich wäre, zu vernehmen, denn jener ‚Tempel’, den es zu bauen gilt, gleicht, mit anderem Bildwort bezeichnet, einer Symphonie, die nicht nur den Komponisten und sein Orchester braucht, sondern auch den Hörer, der sie aufzunehmen fähig ist! –”

 

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Hier hielt der Redende inne und die drei Männer blickten nun längere Zeit im Schweigen versunken hinaus auf das weite Meer, das ein bewimpelter Segler kreuzte, der wohl vom nahen Gestade des Landes her noch Gäste bringen mochte, zu abendlicher Festesfreude.

Wie schützende Wachttürme ragten massige Felsgebilde aus dem Meere nahe dem Ufer auf, die jetzt in gelblich-rötliches Licht getaucht, er kennen ließen, daß der Sonnenball, der während des Aufenthaltes der drei Freunde hier, bereits hinter einer schroffen, hohen Wand im Westen den Blicken entschwunden war, auf seiner abwärts geneigten Bahn nun bald der bisher beschienenen Seite der Erde sich entziehen wollte.

Noch aber mochte keiner an die Rückkehr denken, und der „Abbate”, nun zur Gegenrede angeregt, begann und sprach:

„Was Sie uns sagten, ist uns nach allem, was wir vordem von Ihnen hören durften, gewiß verständlich und ich muß gestehen, daß diese Ihnen anvertraute hohe Lehre, die Sie uns hier nun offenbarten, mich erschüttert hat!

Die Inselbewohner haben mit ihren endlosen Freudenschüssen nur den Tag ihres Heiligen auf ihre Weise feiern wollen; allein mir ist fast, als hätten sie unbewußt den Tag begrüßt, der uns hier vereint an dieser Stätte alter Mysterien, das tiefe Geisteswirken enthüllen wollte, in dem des Menschen Daseinsrätsel sich so wunderbarer Lösung zugeführt erweist…

Nur eine Frage bleibt mir noch, wenn ich auch wohl weiß, daß sie am Ende töricht sein mag; aber so sehr auch mein ,Herz’ bei allem was Sie sagten, sich beglückt und erhoben fühlte, so läßt es doch dieser Frage gegenüber sich noch nicht zur Freude bewegen.

Vielleicht isi zu vieles in mir doch noch erdgebunden, so daß ich die Konsequenzen nicht gern ziehen möchte, auch wenn ich sie ziehen kann. –”

„Irre ich nicht” – unterbrach ihn der Ältere – „so finden wir uns ganz in gleicher Lage? –

Auch ich finde keinen Ausweg, wenn ich mir sagen soll, daß nur im irdischen Leibe die Erlösung dem Geiste wird, während so viele Liebesbanden mich an Geschiedene knüpfen, die ich kaum zu denen rechnen darf, die hier auf Erden schon die Erlösung fanden. – –”

„Das eben ist es” – fiel der „Abbate” ihm in die Rede. „Hier stehe ich wohl vor der Forderung eines klaren Schlusses, doch es bleibt etwas in mir, das ich gewiß nicht als ‚schlecht’ empfinden kann, und das mir doch verbietet, zu dieser Folgerung zu kommen!

 Entsetzlich bleibt mir der Gedanke, daß alle, die ich hier auf Erden kannte und die auf anderen Wegen ihre Seligkeit erreichbar glaubten, nur Opfer der Vernichtung seien! – –“

 

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Aber der Jüngste der Freunde lächelte und sprach:

„Verzeihen Sie mir, aber hier haben Sie zu vorschnell sich zu einer Auffassung gedrängt gefühlt, die keineswegs gefordert ist!

Es lag mir sehr ferne, eine Lehre zu verkünden, nach der alle verloren seien, die nicht hier im Leibe der Erde sich ihrem geistigen, ewigen Bewußtsein zu einen vermochten.

Ich sage nur, daß man hier auf Erden auch den Leib der Erde nützen muß, um dieses Ziel zu erreichen, daß man es ohne die Resonanz, die der Erdenkörper gibt, überhaupt nicht erreichen kann, solange man auf der Erde lebt, – und ferner: daß sich der ewige Geistmensch in uns dem Erdenkörper so anzugleichen wußte, daß durch dieses geistgeschaffene Verhältnis eine Möglichkeit der Erlösung entstand, die wir nur ausnützen können, so lange wir noch in diesem Erdenkörper leben, dem sich unser Ewiges durch den ,Fall’ in das Bewußtsein des Tierkörpers verband. – –

Daraus folgert aber durchaus nicht die absurde Annahme, daß sich nach der Loslösung vom Erdenleibe überhaupt keine Möglichkeit der Erlösung fände!

Aber während wir – noch an den Leib der Erde gebunden – aktiv in dieses Erlösungswerk einzugreifen vermögen und dieses Leibes Kräfte uns dabei eine sehr wirksame Hilfe bieten, wenn wir sie zu gebrauchen wissen, – sind wir nach der Loslösung zu völlig passiver Haltung gezwungen, und was im Leibe der Erde in wenigen Jahrzehnten erreichbar ist, kann als dann – nach irdischen Zeitbegriffen gesprochen – Jahrtausende, ja Äonen dauern! – – – “

 

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„Das hört sich freilich anders an,” meinte der Physiker, „und ich kann mir sogar nach mancherlei irdischen, mir bekannten Analogien, eine solche kräfteverstärkende Funktion des Erden körpers sehr wohl erklärbar machen.

Zugleich wird es mir dadurch sehr faßlich, daß Menschen, denen solche Zusammenhänge bewußt geworden waren, keine höhere Aufgabe kannten, als ihren Mitmenschen die Wege zu weisen, auf denen sie hier auf Erden schon das Ziel der Gottvereinigung finden können. –

Was mir früher so oft als bizarre gnostische Spielerei erschien, zeigt sich nun in einem Lichte, das dem üblichen diskursiven Denken völlig unzugänglich bleiben muß und ich sehe mit einer gewissen Beschämung für mich und andere ein, wie leichtfertig man – durch keinerlei wirkliche geistige Einsicht beirrt – im Dünkel angelernter Phrasen befangen, sich zu einem Urteil berufen fühlt, zu dem alle eigene Fähigkeit der Beurteilung fehlt…

Wie unsagbar töricht erscheinen mir nach solcher Erkenntnis doch diese Neunmalklugen, die in ihrer grotesken Überheblichkeit ewiges Mysterium abgetan zu haben wähnen, wenn sie nur die Lehren der wirklich Wissenden nach eigener enger Schulregel zu zerpflücken wußten, um die erhaltenen Fetzen in ihre armseligen Begriffsschatullen einordnen zu können!

Mir drängt sich da unwillkürlich das Bild eines Affenkäfigs auf, in den ein Spaßvogel einen Spiegel warf, mit dem die possierlichen Tiere schließlich nichts anderes anzufangen wußten, als ihn wütend zu zerkauen, nachdem sie vergeblich versuchten, auf der Rückseite sein Geheimnis zu entdecken und sich immer wieder zähnefletschend darüber entrüstet hatten, daß ihnen nichts anderes daraus entgegenblickte als ihre eigene Grimasse. – –

Man muß eben schon selbst einen, wenn auch nur schwachen Abglanz ewigen geistigen Lichtes in sich zu empfinden fähig sein, will man begreifen, daß die hohen Lehren der geistig Erwachten nicht in die Schablone blickbeengter Großmannssucht zu pressen sind! –

Es ist wirklich ergötzlich, zu sehen, wie da so mancher Karrenschieber auf dem Gebiete spekulativer Verstandeserkenntnis allen Ernstes zu glauben scheint, die durch Selbstverwandlung geistig Wissenden, von denen wir durch Sie nun Kunde haben, hätten keine Ahnung von den verschiedenen Täuschungsmöglichkeiten, die den Menschen bei seinem Suchen nach Erkenntnis in die Irre locken können, während das spärliche Erkennen seelischer Zusammenhänge, auf das eine scheinbetörte Experimentierweisheit heute so stolz ist, wie ich immer mehr sehe, jenen im Geiste Leuchtenden schon vor Jahrtausenden nur als Binsenweisheit galt, über die sich ihr geistiges Erkennen um Sirius-fernen erhoben hatte…

Diese drolligen Leutchen leben in einer Kulissenwelt, die sie sich selbst erbauten, und ihre Eitelkeit läßt sie alles nur im bengalischen Lichte ihrer Trugschlüsse sehen, so daß sie die Sonne beseitigt zu haben wähnen, weil ihre entwöhnten Augen vom Lichte der Sonne nur Blendung erfahren. – – –

 

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Lange genug ließ auch ich mich von solchen blinden Blindenleitern führen und war ihrer ‚Weisheit’ froh, obwohl sie mir letzten Endes nur allzudeutlich ihre Enge zeigte, aber ich glaubte damals noch, wie soviele andere in meiner Lage, daß eben restloses geistiges Erkennen dem Menschen nicht zuteil werden könne…

Sie, lieber junger Freund, haben mich auf diesem Reisewege eines Besseren belehrt!

Ich danke Ihnen!

Aber ich darf Ihnen auch sagen, daß mich nichts mehr zurückhalten wird, den nun kaum betretenen Weg zum Lichte der Ewigkeit auch zu Ende zu gehen, bis ich – wenn meine Erdentage es mir noch gewähren – hier, während meines Daseins auf diesem Planeten, das hohe Ziel erreiche, das ich, wie ich nun fühle, hier erreichen kann!

Am allerwenigsten aber werden mich in Zukunft die hohlen Redensarten derer beirren, die ihrer Scheinweisheit froh, nur in leeren Worten zu kramen verstehen und solche Torheit für den Weg zur Erkenntnis halten! –”

 

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Der Jüngste der Drei hatte sich erhoben und blickte sinnend über das abendliche Meer, so als ob er die letzten Worte kaum recht beachtet hätte, und man sah es ihm an, daß er zum mindesten den Dank des Freundes überhören wollte.

Der Weißbärtige aber ließ sich nun also vernehmen :

„Es sind gewichtige Dinge, die uns heute hier beschäftigt haben und unsere Ruhezeit auf dieser herrlichen Insel steht sichtlich unter guten Sternen!

Was nun mich betrifft, so habe ich den letzten Äußerungen, die da soeben gehört wurden, kaum etwas hinzuzufügen, es sei denn, daß ich wohl noch weit triftigeren Grund zu haben glaube, mir zu wünschen, daß ich nicht eher diese Erde verlassen müsse, als bis auch mir das Ziel sich zu eigen gab, das erst in so vorgerückten Jahren nun vor mir steht.

Aber ich kann nicht glauben, daß die Fügung es mir nun als erreichbar zeigt, wenn es mir nicht beschieden wäre, ihm noch entgegenzuwachsen. –

Hätte ich früher von dem allem auf solche Weise gehört, wie das während dieser Reisetage nun geschah, – wer weiß, ob ich reif gewesen wäre, dem Anruf zu folgen!?

 

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Ich muß gestehen, daß ich in jüngeren Jahren mich sehr wohl befand, bei einer Weltanschauung die ich selbst mir zurechtgeklügelt hatte, und deren Hintergrund immer noch die große Abschlußlinie kirchlicher Eschatologie: die in früher Jugend so gläubig aufgenommene Lehre von den ,letzten Dingen’ bildete, wie sie mir als eifrigen Bekenner meines anerzogenen Glaubens in den Exerzitien des heiligen Ignatius von Loyola, die ich unter der Leitung seiner geistlichen Söhne fast jedes Jahr absolvierte, in wahrlich eindrucksstarker Weise entgegengetreten war.

Weit entfernt davon, heute solche Erziehung zu bedauern, kann ich vielleicht erst jetzt ganz ermessen, welchen Segen sie, trotz ihrer irrtümlichen Prämissen, in mein Leben brachte, lernte ich doch dabei eine Methodik des Denkens und eine Zügelung des Fühlens kennen, die zu einer Willensbildung führten, wie ich sie wahrhaftig so manchem wünschen möchte, der nur die Schattenseiten des Wirkens jener Glaubenseiferer der römischen Kirche kennt. –

Wenn ich dann auch später vieles anders sehen lernte, als es mir damals gezeigt worden war, so blieb mir doch die straffe Geistesdisziplin erhalten, die es mir eben so unmöglich machte, mich religiösen Schwärmereien hinzugeben, wie sie mich die Trugschlüsse leerer Spekulation, auch wenn sie noch so verführerisch sich als ‚unwiderlegbar’ anpreisen mochten, stets gar bald durchschauen ließ.

Aber im Grunde meiner Seele war eigentlich Resignation…

Ich stand vor einem großen Ignorabimus: beschied mich dabei, daß wir über gar vieles niemals etwas wissen könnten, und fand es nur geraten, nach des Dichters Ausspruch: ,das Unerforschliche ruhig zu verehren’…

Froh, auf solche Art ein gewisses inneres Gleichgewicht wahren zu können, wäre ich sicher kein aufmerksamer Zuhörer gewesen, hätte man mir zu jener Zeit von ähnlichen Dingen gesprochen, wie die sind, denen wir jetzt schon so manche Stunde zu weihen uns bestrebten. –

Erst in den allerletzten Jahren, als mir mehr und mehr der Gedanke an ein Abschiednehmen von der Erde nahetrat, wurde es anders mit mir und ich fand mich gar oft gedrängt, eine Pforte gewaltsam entriegeln zu wollen, hinter der das Geheimnis der letzten Dinge mir verborgen schien. – –

Da sich eigene Erfahrung mir nicht bieten wollte, versuchte ich schließlich, mir auf Grund der Erfahrung anderer ein Urteil zu bilden, und so kam es, daß ich mich schon seit geraumer Zeit mit jenen Studien beschäftigte, deren Erwähnung vor Ihnen die Ursache all der Eröffnungen wurde, die uns durch Sie, junger Freund seither geworden sind.

Auch hier bedauere ich es keineswegs, soviel kostbare Zeit an das Durcharbeiten der Berichte gegeben zu haben, deren wissenschaftlich einwandfreie Verfasser mir immerhin Gewähr dafür boten, daß sie sich nicht durch irgendein Gaukelspiel hatten täuschen lassen.

Aber ich sehe längst nun, daß ich trotzdem auf falscher Fährte war, und daß die Rätsel unserer bleibenden Geistigkeit nie und nimmer durch Experimente mit Somnambulen und ‚Medien’ lösbar werden.

 

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Auch ich habe den Anfang des rechten Weges nun gefunden!

Ob ich ihn hier noch auf Erden bis zum Ziele durchschreiten darf, mag höheren Mächten zu wissen vorbehalten bleiben! – –

Einstweilen danke ich der geheimnisvollen Führung, die uns auf dieser Reise Gelegenheit werden ließ – wenn auch noch wie aus weiter Ferne – die ersten Strahlen ewigen Lichtes in uns wahrzunehmen.

Ich fühle, daß der, dem es hier oblag den Schleier der uns so viel verborgen hielt ein wenig zur Seite zu ziehen, es ablehnt, unseren Dank entgegenzunehmen, aber das kann mich nicht hindern, ihm dennoch im Herzen zu danken, und wenn er selbst sich nur ‚Schüler’ nennt, so möge er uns der Obhut derer empfehlen, die er selbst als Meister verehrt! – – – ”

 

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Und der Jüngere antwortete und sprach:

„Hier habe nur ich zu danken, daß ich Werkzeug werden durfte in der Hand einer hohen Führung die Sie mir nahe brachte und Gelegenheit schuf, von dem wenigen zu geben, das ich selber geben kann!

Doch bedarf es nun meiner nicht mehr, wenn Sie willens sind, sich auch weiter, und nun beiläufig Ihres Tuns bewußt, der gleichen hohen Führung anzuvertrauen, von der Sie wissen, daß auch ich ihr mein Erkennen danke.

‚Bittet, und ihr werdet empfangen!

Suchet, und ihr werdet finden!

Klopfet an, und es wird euch aufgetan!’

Der einst so zu seinen Zeitgenossen zu sprechen wußte, ist auch heute noch der Erde nicht fern, und die wenigen, von denen ich Ihnen als von den ‚Leuchtenden des Urlichtes’ sprach, kennen ihn als ihren Bruder in seiner Geistgestalt, in der er stetig bei den Menschen der Erde – im geistigen Lebenskreis der Erde – bleibt, bis auch der letzte der Geistesmenschen, die sich hier dem Menschentiere übergeben müssen als Folge ihres ‚Falles’ aus hohem Leuchten, den Erdenleib wieder verlassen hat…

Wer ihn zu ,rufen’ weiß durch Tat und Leben, dem ist er nah, wie so mancher andere seiner Brüder, die in gleicher Weise bei der Erde bleiben, obwohl sie längst den Erdenleib verlassen haben!

 

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Es ist nicht nötig, daß man von dem Dasein dieser geistigen hohen Helfer wisse, um ihre Hilfe zu erhalten, und es ist nicht nötig, daß man in Worten sich zu dem bekennt, den sie den ‚großen Liebenden’ nennen und in dem ein großer Teil der Menschheit seinen Erretter sieht. –

Gar viele erhielten solche hohe Hilfe, die weder den Namen dieses Erhabenen kannten, noch von seinen geistigen Brüdern wußten, denn was hier allein gefordert wird, ist ein »Glaube’, der sich durch die Tat bezeugt und an kein Bekenntnis religiöser Meinung ausschließlich gebunden ist!

 

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Gewiß wird solches gewisses Wissen von allen denen ‚verdammt’, die den Wahn erhalten möchten, als sei nur durch die Bindung an die von ihnen ersonnenen Glaubensformeln das Heil zu erlangen, aber der ewige Geist, dem jene zu dienen glauben, ist ihrer ‚Verdammung’ noch weiter entrückt, als ihrem ‚Segen’, den sie in seinem Namen allein zu spenden sich berechtigt wähnen! – – –

Es hindert aber auch solche Bindung nicht, daß dennoch auch die Gebundenen die gleiche höhe Hilfe erfahren können, und es bleibt wahrlich ohne jede Bedeutung, wen sie als ihren Helfer verehren zu müssen glauben! –

Das gläubige Volk dieser Insel hier betet heute zu seinem Heiligen; aber wer auch immer der so Gemeinte auf Erden gewesen sein mag – ob sein Leben und Tun Verehrung verdiente oder nicht – so wird doch die durch Tat und Leben wirksam gewordene Bitte die wahren geistigen hohen Helfer erreichen, – nicht anders, als wenn der Scheich der Wüste zu Allah sein Herz erhebt, oder der fromme Hindu zu irgendeiner Gottheit seines uns Abendländern so grotesk erscheinenden Pantheons. – –

Ja, selbst der Wilde in seinem Fetischtempel kann die gleiche Hilfe erhalten, wenn er nur durch all sein Tun die Vorbedingungen erfüllt, soweit sie bei seiner Erkenntnisfähigkeit ihm zu erfüllen möglich werden. – – –

 

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Dies ist im eigentlichsten Sinne die ,frohe Botschaft’, die einst der Meister von Nazareth der Menschheit brachte; aber noch heute wird man gar selten einem Menschen begegnen, der sie verstand! –

Auf der einen Seite wurde alles Geistige, davon diese Botschaft Kunde brachte, immer mehr von der Erde losgelöst und zu wesenlosem Nichts über Wolkenhöhen verflüchtigt, während man auf der anderen den Geist so sehr der Materie zu amalgamieren suchte, daß man es schließlich gar nicht mehr merkte, wenn man nur noch Materie in Händen hielt. – – –

Wer aber den Geist in sich finden will, der bleibe sich bewußt, daß er ihn nur der Materie gleichgeformt zu finden vermag, aber weder in Materie versunken, noch über allem Materiellen, in erträumter wesenloser Vorstellung!

 

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So auch kann der Geist, solange er noch nicht dem eigenen Bewußtsein des Menschen sich einte, niemals des Menschen Bewußtsein anders erreichen, als indem er die Möglichkeit schafft, daß das ihm noch nicht geeinte Bewußtsein empfindend teilzunehmen vermöge am inneren Lichtesleben eines Menschenbewußtseins, das bereits dem Geiste vereinigt ist! – – –

 Diese dem Geiste restlos Vereinigten auf unserer Erde, sind aber jene wenigen Männer zu jeder Zeit, von denen ich sprach, als von des Urlichtes Leuchtenden!

 

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Nicht dadurch, daß man einen, oder sie alle kennen lernt, kommt man ihnen nahe, denn dieses Nahekommen hängt weder ihrerseits noch unsererseits von freier Willkür, von persönlichen Wünschen ab, – sondern nur die eigene, durch Tat und Leben bewirkte innere Einstellung entscheidet, ob man an ihrem geistgeeinten Bewußtseinsleben teilzunehmen vermag, oder nicht! – – – – –

Wer aber fähig wurde – wenn auch nur in leisester Erahnung – daran teilzunehmen, den könnte auch kein Gott daran verhindern; und je mehr er sich in solcher Fähigkeit zu befestigen vermag, desto mehr wird ihm Kraft aus jener geistigen Sphäre kommen, in der das dem Gottesgeiste geeinte Bewußtsein dieser Meister des Erkennens ruht; je mehr wird ihm Hilfe zuteil aus jenen Strömen geistiger Allgewalt, in denen ihr Wille ewig wirkend nach dem Gesetz des Geistes waltet! – – –

 

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Wer dies einmal erkannte, ist schon weit vorangekommen auf seinem Wege, der ihn zur Einheit im Geiste in sich selber führen soll!

Er wird eben so weit davon entfernt sein, diese ,Leuchtenden’ für irre Sektierer und tolle Schwärmerseelen zu halten, wie er sich wahrlich hüten wird, in ihnen entmenschte Halbgottwesen oder eitle Zauberer zu vermuten! – –

Ich habe nun Sie, liebe Freunde unter das ‚Kraftfeld’ dieser hohen Hilfe gestellt…

Mehr vermag ich nicht, aber mehr vermöchte auch einer derer nicht, von denen ich hier sprach, und denen ich all mein Erkennen danke!

Von Ihnen allein hängt es nun ab, welche Kräfte Sie aus diesem geistigen ‚Kraftfeld’ gleichsam einzusaugen wissen! – – –

Dann danken Sie ,Gott’, der in Ihnen selbst, wie in einem Tabernakel eingeschlossen ruht, für die Gnade, die Ihnen werden mag; aber nicht mir, der ich nur Anstoß werden durfte, Ihren Willen zu wecken! –”

 

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Die Klippen, die nahe der Küste aus dem Meere ragten, lagen lange schon in opalfarbenem Duft und nur der letzte Widerschein des Tages ließ noch Licht und Schatten auf ihnen erkennen.

Über den Häuptern der drei Freunde funkelten bereits die ersten Sterne, als man nun endlich sich entschloß, die geheiligte Stätte zu verlassen, um wieder den Pfad zurückzuverfolgen, der nach der kleinen Stadt auf dem Rücken der Insel führte.

Es war bereits völlig dunkel geworden, bevor die Wanderer das Haus der Fremden erreichten, das ihnen jetzt für die nächsten Tage Heimstätte war.

Hier nahm man nun seine Abendmahlzeit ein, aber da man nachher noch nicht recht zum Schlafe sich bewogen fühlte, doch auch nicht von neuem die tiefen Dinge berühren wollte, die heute bei der Mithrasgrotte zur Sprache gekommen waren, so begab man sich zu der kleinen Piazetta, allwo das Inselvolk und seine Gäste wie in einem Festsaal promenierte und sich der heiteren Weisen freute, die eine muntere Kapelle zum besten gab.