Hortus Conclusus:

Über die Rcligionsformen

Der Mensch auf Erden ist Vorbedingnis für das Werden und Bestehen der irdischen Religionen, aber diese sind keineswegs Bedingnis der irdischen Existenz des Menschen! Dieser Satz ist nicht nur Folgerung aus dem bekannten Evangelienworte vom jüdischen Sabbat, sondern auch, ganz unabhängig davon, eine von keinem Vernünftigen zu bezweifelnde Selbstverständlichkeit. Und doch gibt es religiöse Eiferer in Menge, die aller Logik zuwider, diesen so selbstverständlichen  Satz am liebsten umkehren möchten. In allen Religionen sind  sie zu  finden, wenn auch kaum irgendwo so zahlreich wie  gerade in den Religionsbezirken,  die sich auf die Lehre des Erhabenen berufen, der so eindeutig den Sabbat und damit alle religiöse  Konvention und Satzung als eine rein menschliche Angelegenheit: „um  des Menschen willen”, — bezeichnete. — Überall aber, wo die Anhänger einer Religionsform die unumstößliche Wahrheit dieses Satzes vergessen, erhebt sich drohend für diese jeweilige Religionsform die Gefahr, das, was „Religion” in ihr ist, zu  verlieren, und zur bloßen Form zu erstarren, die dann kein anderes Bestreben mehr kennt, als sich  um ihrer selbst willen,  zum  Vorteil ihrer Diener, aber auf Kosten von deren Anhängerschaft, in sterilem Dasein zu erhalten.  Statt ein Bewahrnis der Religion zum Besten des Menschen und im Dienste des Menschen zu sein,  leert sich die Form, und ihre Leere saugt wie ein Vakuum den Menschen, der ihr Herr durch den von ihm geschaffenen Inhalt sein sollte, erbarmungslos in sich  hinein. — Man braucht auf Erden wahrhaftig nicht zu suchen, wo sich solches begibt, denn es begibt sich allerorten in dieser Zeit!

   Jede Religionsform  aber, die nicht zur  leeren Form werden will, muß achten, daß sie nicht „tolerant” wird, denn sie besteht nur durch ihre Intoleranz, indem sie alle andere Religionsform ausschließt.  Und jede  Religionsform  wird von ihren Anhängern für  die „allein seligmachende” gehalten, auch wenn in ihrem Bekenntnis von dieser Überzeugung nicht ausdrücklich gesprochen wird. Der Anspruch  ergibt sich von selbst, da jeder ehrliche Anhänger einer  Religionsform  sein  zeitliches Tun und Lassen gerechtfertigt, und sein ewiges Heil begründet sehen will, so daß er gewiß keiner Religionsform den Vorzug gibt, von der er nicht fest überzeugt ist, daß sie vor allen  anderen den Vorzug verdient, weil sie allein ihm Führerin zur  Seligkeit zu sein scheint.  Je toleranter eine Religionsform sich geben will, desto weniger ist sie imstande, Religion zu verwahren, — desto mehr in Gefahr, leere  Form zu werden, auch wenn sie, ihrem Namen nach, weiterhin noch als „Religion” erscheint.

   Es ist jedoch die zu ihrem Bestand nötige Intoleranz jeder Religionsform nur innerhalb ihres eigenen Bereiches ein Gutes! — Jeder Hausvater erfüllt nach Fug und Recht seine Pflicht, wenn er intolerant gegen alles ist, was den Bestand des ihm anvertrauten Hauswesens  gefährden könnte. Nicht anders sind die für das Bestehenbleibenkönnen einer Religionsform Verantwortlichen vor sich selber berechtigt und verpflichtet, innerhalb ihres Religionsformbereiches intolerant gegen alles zu  sein, was das Bestehen der ihnen anvertrauten Religionsform in Gefahr bringen könnte. Aber außerhalb dieses, ihrer Religionsform ureigenen Bereiches fehlt ihnen jedes Recht und jede Pflicht zur Intoleranz! — Nur wenn die Rechte und Pflichten Anderer in den ihnen anvertrauten Religionsformbereichen gewissenhaft  geachtet und sorglichst unangetastet bleiben, sind jene allein menschenwürdigen gegenseitigen Beziehungen zwischen den  verschiedenen, sich innerhalb ihrer Bereiche mit berechtigter Intoleranz ausschließenden Religionsformen möglich, die für das lebendige Gedeihen jeder einzelnen bedingungslos erforderlich bleiben!  Jede; Ausbreitung der für das eigene Bestehen auf eigenem Gebiet nötigen Intoleranz, über  die Grenzen des eigenen Religionsformbereiches hinaus, ist Störung anderer Religionsformen und leistet nur der Ignoranz und Feindschaft gegenüber allem Religiösen  Helfersdienste in dieser wahrlich religionsmatt  und religionsmüde genug gewordenen,  tausendfach irritierten Zeit. Diese Zeit ist ohnedies gewohnt, Religion mit „Religionsgeschichte” gleichzusetzen, in der ja für jeden, der sie kennt, eine Kette von Berichten über unberechtigte Übergriffe intern berechtigter Intoleranz in die Religionsformbereiche andersgläubiger Menschengruppen vorliegt, wie sie von ärgster Religionsfeindschaft  nicht schauerlicher geschmiedet werden könnte.

   Vor  allem aber ist immerdar zu bedenken, daß Religion in allen ihren Formen ausnahmslos ein erdenmenschlicher Behelf ist, den die ewige Seele Einzelner jeweils in Sorge um ihre Mitmenschen liebevoll ersann, damit  auch  den nicht zu eigener Findung Fähigen ein guter Weg „markiert” sei, der sicher ins Ewige führe! Es ist töricht, darüber zu streiten, welcher dieser Wege weniger „Umweg” sei, denn alle sind Umwege, weil sie  sonst jenen Seelen zu steil und  gefahrvoll würden, um derentwillen sie von kundigen Wegebahnern geschaffen wurden. Ich aber bin nicht gekommen um einen neuen „Umweg” zu bauen! Ich zeige vielmehr den  direkten Anstieg in das ewige Licht, der allerdings nur Seelen ersteigbar ist, die Kraft genug in sich auszulösen wissen, um mit Sicherheit die Abgründe überspringen  zu  können, die man  Andere, — auf dem Wege einer Religionsform, — umgehen lehrt… Ich bin nicht  dazu da, irgend einer Religionsform oder vielen zugleich eine Apologie zu schreiben, obwohl ich es  wahrhaftig gesicherter als die berufsmäßigen Apologeten der  Religionen vermöchte. Ich muß die Religionsgebundenen  auf die Wege ihrer Religionsform verweisen und jene Verwegenen  aufzufinden trachten, die eigene Pfade zum Licht zu erklimmen suchten, sich aber bei ihrem Suchen  „verstiegen” haben. Auch denen muß ich helfen, die ehedem auf dem gutmarkierten Wege einer Religionsform dahinschritten, bis sie aus diesem oder jenem Grunde das Vertrauen zu ihrem gebahnten Wege verloren und sich quer durch die Wildnis der Skepsis einen anderen Pfad zu treten suchten, ohne voranzukommen. Den zufrieden und ihrer Sache  gewiß auf den zeichengesicherten Wegen  der Religionsformen Wandelnden aber werde ich gewiß nicht  „im Wege” stehen, auch wenn ich ihren Weg zuweilen kreuze. Ich kann ihnen nur immer wieder an den für sie unverständlichen aber nötigen Wegkehren sagen, in welcher Richtung  ihres Weges Endziel liegt, und bringe ihnen geistige Kraft, aus der sie ihre schwachen seelischen Kräfte wirksam nähren können, damit sie wenigstens ausdauern auf der betretenen Straße, bis ihre Seelen endgültig aus ihrem Irdischen losgelöst werden.

Es liegt  mir so fern, „eine neue Religion” zu  begründen, wie  es mir fernliegt,  den  bestehenden  Religionsformen andere Dienste zu widmen, als die ihnen nach Maßgabe ihres Schatzes an zeitüberdauernden Werten vom ewigen Geiste her zubestimmte Hilfe, die,  —  wo sie vonnöten ist, — weder Bitte verlangt, noch Dank erwartet, und keinem irdischen Willen erwirkbar wäre.