Meine Kenntnis asiatischen Religionsgutes stammt wahrhaftig nicht aus Büchern. Bücher konnten mir immer nur gehirnliche Wiederbegegnungen mit dem lang schon geistig Bekannten bringen. Ich weiß aber von der Neigung vereinzelter Europäer, die ihr Wissen aus Büchern haben, alte östliche Religionsurkunden und Gebetbücher geradezu als psychologische Offenbarungen zu begrüßen, und sie als Eideshelfer für eigene Hypothesen heranzuziehen. — Allein ich weiß auch, wieviel Überschätzung solcher Wertung zu Gewicht verhilft, und daß es sich dazu noch zumeist um „Verzeichnungen” irrig oder halbverstandener religiöser Spekulationen und Imaginationen einer kaum noch prüfbaren Vorzeit handelt, denen man solche Verehrung entgegenbringt. Es ist auch nicht einzusehen, weshalb es mehr Weisheit verraten soll, wenn in einem asiatischen mystischen Text das Gleiche gesagt wird, was innerhalb des europäischen Kulturkreises Eckhart, Tauler und der Frankfurter Deutschordensherr formulierten, oder was Angelus Silesius zum Beispiel meinte mit dem bekannten Vers:
„Der Himmel ist in dir — und auch der Hölle Qual: — was du erkiest und willst, — das hast du allzumal!”…
Gewiß aber ist nicht zu bezweifeln, daß die gleiche Wahrheit sich mitunter von ganz neuen Aspekten her offenbart, wenn plötzlich die Ausprägung vor Augen liegt, die sie in einem weit entfernten fremden Kulturkreis gefunden hat. Hierin ist denn auch die praktische Bedeutung der den Europäern zugänglich werdenden Texte aus innerasiatischen Religionswelten in erster Linie beschlossen. Nicht die bereits lange schon ihrer Tendenz nach bekannt gewordenen Dogmen östlicher Religions-Systeme stellen den Hauptwert dar, den Übersetzung vermitteln kann, sondern die Formen andersartiger Ausprägung mancher, auch europäischer alten religiösen Kultur durchaus nicht versagt gewesenen Erkenntnisse an sich ganz undogmatischer Art. Die aber können zu recht bedeutsamen Anregungen führen, und dem jeweils neu erschlossenen alten östlichen Religionsgut wahrhaftig Gewicht verleihen.
Während aber nun in den auf dem Boden Indiens erwachsenen oder aber von Indien her überstrahlten Religions-Systemen Asiens die Innewerdung des Ewigen durch eine Art seelischen inneren Schauspiels erstrebt wird, bei dem der Mensch Schauspieler und Zuschauer zugleich ist, indem er seine Gottheiten in sich selber darstellt und sie dabei seiner Natur nach mit allem Gewicht der eigenen Selbstgewißheit als lebendig und in Beziehung zu sich empfindet, — wenn nicht sogar völlige subjektive Identifikation erreicht wird, — (man denke z. B. an Râmakrishna!) verfolgte der europäische Mensch schon von den Zeiten der Antike her eine genau entgegengesetzte, naturhaft in seiner Art gründende Weise religiösen Strebens, indem er im Göttlichen sich selbst: — den „Menschen” — zu erleben suchte. Sehr bemerkenswert ist, daß auch der uns so „orientalisch” anmutende Islam hierhergehört. Das Christentum aber vor allem, ist in all seinen Formen — wo es konsequent erlebt wird — solches religiöse Erleben des in der Gottheit durch Gottheit verhüllten primordialen „Menschen”! Wahrlich: — ein „Anthropomorphismus”, wie ihn Fleisch und Blut aus sich allein dem Erdentierverhafteten nicht nahelegen konnten!
Man kann nun auf asiatische wie auf europäische Art in das Erlebnis des Ewigen gelangen, aber in beiden Arten bleibt dieses höchste Erleben, das dem Erdenmenschen während seiner Leibeslebensdauer möglich ist, nur denen vorbehalten, die sich durch die dornenreiche Wildrosenüberwucherung jahrhundertelang weitergezüchteter Dogmatik durchzuschlagen wissen, bis sie zum innersten Wahrheitsinhalt : — zu der klaren Erkenntnis dessen gelangen, was die Dogmengestalter eigentlich schützen wollten, aber, in bester Absicht, gerade damit der gänzlichen Überwachung preisgaben. Wohl wird sich jedoch — von einzelnen, recht verschiedenwertigen Ausnahmen abgesehen — der Asiate am besten in nüchterner Wahrnehmung seiner Besonderheit an die asiatische, der Europäer aber an die europäische Weise halten, wo immer ein Erdenmensch zu wirklichem Ewigkeitserleben gelangen will, denn diese beiden, so grund verschiedenen Weisen sind psychophysisch begründet und stellen keineswegs etwa der Willkür entstammende „Methoden” dar. Es ist weder eine Zusammenfügung beider Einstellungen möglich, noch kann von einer in die andere hinübergewechselt werden, wenn das beiden zuletzt gemeinsame Ziel wirklich erreicht werden soll.
Gewiß wird niemand auch nur einen Augenblick im Unklaren darüber sein, daß durch mich die europäische Weise, zum Ewigkeitserlebnis zu kommen, gelehrt wird. Allerdings bereichert durch alles, was sich an östlichem Erfahrungsgut europäischer Weise „amalgamieren” läßt. Das ist natürlich kein „Widerspruch” zu der eben aufgezeigten Unmöglichkeit, beide Einstellungsweisen zu verbinden oder bald die eine, bald die andere zu pflegen, und es wäre ebenso möglich, eine Lehre der asiatischen Weise durch Bereicherung mit europäischem Erfahrungsgut fruchtbringender zu gestalten. Wenn man aber auch als Europäer die Erfahrung macht, daß in den asiatischen Texten zuweilen „das Echte recht dünn gesät” und tief „versteckt” ist, während „überall Negatives unfaßbar starr an der Oberfläche liegt”, so darf man dennoch aus solcher Erfahrung heraus keinesfalls auf die Werte schließen, die einem Europäer unzugänglich bleiben. Auch einem Asiaten, der den heutigen Spuren wirklichen Ewigkeitserlebens in Europa nachgehen wollte, würde es mit europäischem Religionsgut kaum anders ergehen…
Was jedoch vielfach als „dämonisch” empfunden wird, ist der in allem Religionsgut Asiens zutagekommende landesentstammte und blutbedingte praktische Okkultismus, der aber für den Menschen des Ostens eher einen Bezirk der Physik darstellt und von den damit Vertrauten nicht in unserem Sinne als „unheimlich” empfunden wird. Soweit diese okkultistische Praxis sich noch auf religionsbestimmten Bahnen bewegt, wird sie auch durch die Religion noch gezügelt, und wird dann selbst von geistig hoch darüber Erhabenen für harmlos angesehen. Erst wo der Okkultismus selbst in Asien zur „Religion” wird, darf er in bedrohlichem Sinn „dämonisch” genannt werden! —
Man sollte den religiösen Texten des Orients unbefangener gegenübertreten und resoluter die Spreu vom Weizen sondern, um so mehr, als ja doch das Beste, Kostbarste und Geheimnisreichste, was Asien verwahrt, niemals Gegenstand von Aufzeichnungen wurde, und die wenigen Handschriften aus denen es zu erschließen wäre, ganz gewiß keinem Nichtasiaten jemals in die Hände fallen.