Jakob Böhme war wahrhaftig nicht nur „der Görlitzer Schuster”, wie ihn Leute eines mehr als nur fragwürdigen Geschmacks zu bezeichnen lieben. Er war auch nicht bloß „ein Schuhmacher, und Poet dazu”. Alle diese platten Anspielungen auf sein, gewiß keine höhere Wissensbildung voraussetzendes, brotbringendes Gewerbe sind unzulässig. Was ich in der kleinen Sammlung einzelner für sich bestehender Abhandlungen, die ich unter dem Titel „Wegweiser” herausgab, über Jakob Böhme gesagt habe, will, wie Sie richtig verstehen, darauf hinweisen, daß Böhme angenommener, geistig berufener Schüler der Leuchtenden des Urlichtes war. Ihm selbst war dieser Umstand etwas so Heiliges, daß er eine Wolke von Geheimnis darüber zu legen wußte. So viel auch über Böhme geschrieben wurde, so war doch niemand in der Lage, dieser geistigen Beziehung gerecht zu werden. Allerdings gibt Jakob Böhme die Schilderungen seiner geistigen Erlebnisse und Einsichten auch in so barocker und eigenwilliger Form, die durch den falschen Gebrauch der ihm durch seine gelehrten Freunde bekannt gewordenen lateinischen und latinisierten Worte nur noch krauser wird, daß man schon selbst sehr genau um solches Erleben wissen muß, um zu erkennen, was er jeweils darstellen wollte.
Anders aber steht es um die deutschen Mystiker, wie den Frankfurter Deutschordensherrn unbekannten Namens, der die „Theologia deutsch” geschrieben hat, um Tauler, Seuse, Meister Eckhart.
Das waren grundgelehrte Männer, die auf harten philosophischen wegen zu ihren Erkenntnissen kamen, die sie dann nur schwer vor der kirchlichen Verdammung bewahren konnten.
In der entgegengesetzten Situation war der gelehrte Dichter Johann Scheffler (Angelus Silesius), der sich als Protestant zuletzt in den Katholizismus rettete, indem er sich jegliche katholische Lehre in ein poetisch gesehenes Symbol umdeutete.
Eine für mein Gefühl ganz für sich zu betrachtende Erscheinung ist der im tiefsten Sinne „fromme” Kanonikus Thomas a Kempis, der die von so viel ruhegebender Gütigkeit erfüllten, freilich ganz katholisch gemeinten vier Bücher von der Nachfolge Christi geschrieben hat.
Aber alle diese Männer standen keineswegs in einem bewußten Verhältnis zu den Leuchtenden des Urlichtes, wenn sich auch bei ihnen allen einzelne Aussprüche finden lassen, durch die man versucht werden könnte, doch anzunehmen, daß wenigstens die verborgene Existenz der Leuchtenden des Urlichtes in den Kreisen mittelalterlicher deutscher Mystiker geahnt wurde.
Daß aber diese, ohne es zu wissen, so manche geistige Hilfe und Leitung von der vielleicht geahnten Quelle her empfingen, ergibt sich schon aus dem, was ich Ihnen seinerzeit über die Natur dieser Geisthilfe mitteilte, ist aber auch aus den Predigten und Schriften Taulers, Seuses und Meister Eckharts deutlich zu ersehen, sobald man gewissen Bekenntnissen und Lehrworten das ihnen oft recht schlecht passende kirchliche Gewand behutsam von den Schultern nimmt, auf die es gelegt worden war, um die also Lehrenden vor dem Scheiterhaufen zu schützen. Auch bei Thomas a Kempis und dem in erster Linie als mystisch empfindenden Dichter zu betrachtenden Angelus Silesius zeigt sich der geistige Einfluß der Leuchtenden des Urlichtes an vielen Stellen.
Bei aller Verehrung aber, die ich für diese alten deutschen mystischen Theologen und Philosophen hege, — bei aller Liebe die ich dem wundersam stillen und feinen Thomas a Kempis entgegenbringe, und bei aller Freude an dem prachtvoll knappen, auch manchmal gar streitbaren Angelus Silesius, muß ich Ihnen aber einstweilen doch raten, vorläufig noch mit dem Studium irgendwelcher mystischen Schriften solange zuzuwarten, bis Sie fühlen, Ihres eigenen Weges so sicher zu sein, daß auch gelegentliches Begehen von Seitenwegen Sie nicht mehr in der Richtung auf Ihr Ziel irremachen kann.
Dieser Rat soll Sie aber nur vor allzulangen Aufenthalten auf Ihrem Wege bewahren, denn während der Zeit, die Sie benötigen würden, sich ein Urteil zu bilden, das Ihnen später ohnedies ganz von selbst zufällt, können Sie schon wieder ein gutes Stück näher zu Ihrem Ziele gelangt sein. Vergessen Sie auch nicht, daß es sich bei den Schriften aller der genannten Männer — mit alleiniger Ausnahme Jakob Böhmes — um in hartem Ringen mit sich selbst erdachte und erglaubte, wenn auch zuweilen bis zum inbrünstigen Gefühls-Erlebnis verdichtete Ansichten über die Welten des ewigen Geistes handelt, während Sie das fast unbegreifliche Glück genießen, von Anfang an auf den Weg in die ewige Wirklichkeit geführt worden zu sein…
Seien Sie mit allem Segen gesegnet, der mir anvertraut ist als durch meinen Willen lenksame, geistige reale Kraft!