In allen großen Religionssystemen, die je durch Erleuchtete der Welt gegeben wurden, lassen sich Spuren geistigen Lichtes finden, aber es ist hier nicht meine Absicht, alle Religionen auf solche Geistesbekundung hin zu untersuchen, denn man müßte Folianten füllen, wollte man auch nur die wichtigsten religiösen Lehren und das Leben der Gläubigen, die nach ihnen handeln, gerecht und billig von diesem Gesichtspunkt her betrachten.
Wir wollen uns hier allein auf das Christentum beschränken, das, — von vielen als einzige Wahrheit angesehen, von weit mehreren nur geachtet, oder aber gar gehaßt und befehdet, — für den Menschen der westlichen Erdhälfte doch unstreitig die wichtigste Religionsform darstellt.
Schon höre ich aber die Frage: welches „Christentum” ich wohl meine, — und der Bekenner des älteren Systems, — also etwa der griechisch orthodoxe oder der römische Katholik, — ist ebenso geneigt nur seine Auffassung allein als „richtig” gelten zu lassen, wie der auf irgendeiner der zahllosen jüngeren Anschauungen Fußende bereit ist, in den älteren Glaubensformen und ihrer Ausdrucksgestaltung nur „törichten Aberglauben” zu sehen. Der Haß zwischen Christen und Christen, auf Grund widerstreitender Meinungen, ist ein viel ärgerer Feind des Christentums, als alle ätzend anfressende Kritik sämtlicher Virtuosen der Verhöhnung seiner Lehren!
Unsägliches Unheil kam durch den Widerstreit gläubiger Meinungen schon über Menschen und Völker, und noch immer ist des Unheils kein Ende, das im Namen christlicher Gläubigkeit in engeren Kreisen Tag für Tag heraufbeschworen wird.
Aber was hier von Oberflächlichen dem Christentum zu Lasten gerechnet werden mag, hat an sich mit dieser Religionsform nichts zu schaffen.
Es ist Ausfluß menschlicher Enge, menschlicher Parteilichkeit und Rechthaberei, entspringt mißleitetem menschlichen Machtbedürfnis: — der Sucht, über andere zu herrschen bis in die letzten geheimsten Tiefen ihrer Geistigkeit, und — nicht zuletzt — dem verzeihlichen Wahn, allein die „Wahrheit” zu „besitzen”, und sie den andern, auch gegen ihren Willen, aufzwingen zu müssen, um „ihre Seelen zu erretten”.
Nicht von diesen Irrpfaden des christlichen Glaubenslebens und dem auf solchen Irrgängen üblichen Handeln will ich hier reden.
Was hier zu sagen wäre, ist nur allzu bekannt, und stets wird auch die wahnwitzigste Irrung ihre scharfsinnigen und von vermeintlich „echter” Glaubensglut in ihrer Art erfüllten Verteidiger finden.
Das Christentum ist noch viel zu jung auf dieser Erde, als daß es schon in seinen göttlichen Tiefen erkannt sein könnte, und die da glauben, es habe sich selbst „überlebt” und durch die Sünden seiner „Kirchen” ad absurdum geführt, irren sehr, denn sie haben nur die bis jetzt geübte Art seiner Auswirkung im Auge und ahnen nicht, daß dereinst eine Zeit kommen wird, die fast das Meiste, was man bis heute „Christentum” nennt, nur mit Scham im Herzen betrachten kann, so, wie der gereifte Mann die brutalen Torheiten und überheblichen Ansprüche seiner Jünglingszeit betrachtet.
Man möge diese Worte aber nicht etwa mißdeuten!
Ich bin wahrhaftig weit entfernt davon, zu behaupten, daß bisher nichts von wahrem Christentum in der Welt zu finden gewesen wäre, — aber ich darf auch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß der echte Kern des Christentums für die weitaus Meisten, die sich „Christen” nannten und nennen, bis zum heutigen Tage noch in zahllosen, mehr oder weniger harten Schalen steckt, und daß man die köstliche Süße dieses innersten Kernes noch nicht verkostet hat, auch wenn man zuzeiten durch die Risse der Schalen hindurch schon ein Weniges seiner saftreichen Fülle aufzufangen wußte.
Man weiß noch nicht, und man will es vielfach nicht wissen, daß dieser innerste Kern des Christentums wesentliche Geisteswirklichkeit ist, und daß erst alle „Schalen” als an sich unwesentlich erkannt werden müssen, bevor man das göttliche Mysterium des Christentums von ihnen befreien und in seiner Reinheit erschauen kann, — bevor man diesem allerinnersten Kern das Tabernakel zu bauen vermag, in dem er für alle Zeiten der Verehrung der Menschheit sich darbieten kann, für Formen der Verehrung, die seiner würdig sind. —
Es mag dem gläubigen Gemüte vertraut und wohltätig erscheinen, wenn immer wieder an die ersten Anfänge des Christentums erinnert wird, — aber man vergißt dabei, daß das Samenkorn etwas anderes ist als der Keim, und der Keim etwas anderes als die zur Vollgestalt reifende Pflanze, diese aber hinwiederum etwas anderes als die Blüte, und die Blüte ein anderes als die zur Reife entwickelte Frucht.
Wer eine sich entfaltende Pflanze stets wieder zurückschneiden wollte, damit sie in ihrer Form nie die schlichte Einfachheit des Keimes überschreite, der würde gewiß nicht als guter Gärtner gelten.
Das Christentum aber ist bis auf den heutigen Tag noch immer einer in ihrer Entfaltung begriffenen Pflanze vergleichbar, und es ist nicht die Aufgabe seiner Bekenner, jeden, wenn auch vielleicht allzu üppig erscheinenden Blatttrieb an der Wurzelstaude wegzuschneiden, sondern der Pflanze freies Wachstum zu verstatten, ihre Formenwelt sich entfalten zu lassen und keiner Form zu wehren, die sich aus den Wurzelkräften, wenn auch unter Aneignung der Säfte des gegebenen Bodens, bilden mag.
Hier sind „Reinigungsbestrebungen” sehr wenig angebracht, denn die Pflanze, um bei diesem Bilde zu bleiben, kann sich nicht aus sich selbst ernähren; sie muß sich „fremde” Stoffe assimilieren, muß die ihr ursprünglich fremden Säfte in sich aufnehmen, um sie in sich selbst zu verwandeln. —
Die Formen, die allzu üppig um den Wurzelknoten herum ins Kraut schießen, welken ganz von selbst, wenn einmal ihre Aufgabe erfüllt ist, den sprossenden Trieb zu schützen, und neue Formen bilden sich, die den Verlust der ersten Schutzblätter völlig vergessen machen, weil auch sie, nun zum Wesensbestandteil der Pflanze bestimmt, alle bleibende Charakteristik ihrer Eigenart aufweisen.
Man hat an der Pflanze Christentum, in bester Absicht, zu viel „herumgeschnitten”, und man setzt stets von neuem das Messer an, so daß es begreiflich sein dürfte, daß die Pflanze in ihrem naturgemäßen Wachstum zurückbleiben mußte.
Ein Wunder aber könnte man es fast nennen, daß die Pflanze trotz all dieser herben Behandlung noch am Leben ist! —
Man gehe ihr nicht stets wieder erneut an ihres Lebens Mark, erfreue sich vielmehr all ihrer älteren und neueren Triebe, und stelle ihr Wachstum in die Hände des ewigen Gärtners, der weiß, was ihr frommt, und man wird in absehbarer Zeit schon alle schädlichen Auswüchse verschwinden, die krafterfüllten Keime aber zu hoher Schönheit sich entwickeln sehen.
Es sei mir verziehen, daß ich hier in verschiedenen Bildern reden muß, aber wer gewillt ist, mich zu verstehen, der wird aus diesen Bildern leicht enträtseln, was ich zu sagen habe, und ich bin nicht genötigt, nach der einen oder der anderen Seite hin, gläubige Seelen zu verletzen.
Ich rede keiner der bestehenden christlichen Glaubensformen das Wort und sehe in jeder göttliche Geisteskräfte am Werke, nur gehemmt durch gutgemeinte, aber auf allzu enge Parteilichkeit eingestellte Glaubensmeinung, gehemmt durch allzu ängstliche Besorgnis, Liebgewordenes preisgeben zu müssen, oder scheinbar Überwundenes dennoch als in seiner Art nicht verwerflich anerkennen zu sollen.
Man vergesse aber doch nicht, daß jede urgültige Wahrheit in ihrer Auswirkung gar mannigfache Formen verträgt!
Man werde sich doch endlich des Ur-wesentlichen am Christentum voll bewußt und überlasse die jeweilige Bildung seiner Betätigungsform ehrfürchtig achtend der menschlichen Verschiedenartigkeit seiner Bekenner!
Die Lebensbedingungen des Adlers sind andere, als die der Nachtigall, aber ein jedes Lebewesen dieser Erde atmet die gleiche lebenspendende Luft, die den Erdball umgibt, und so auch sind die Bedürfnisse der menschlichen Seele gar mannigfaltig, obwohl sie allüberall das göttliche Licht des Geistes benötigt, soll sie gedeihen und leben.
Im Christentum, so wie es sich bis heute, geschichtlich bedingt, aber stets aus einer ewigen geistigen Quelle genährt, entfaltet hat, sind trotz aller vorher aufgezeigten „menschlich-allzumenschlichen” Un-Vollkommenheiten, — ja aller früheren Fürchterlichkeiten, — tiefste Geisteskräfte am Werke und die überragende Sonderstellung, die dieser Religionsform von ihren gläubigen Anhängern zuteil wird, gründet sich durchaus auf reale Gegebenheiten, wenn auch die Auswirkungsformen, die das Christentum bis heute zeigte, noch nicht die Berechtigung zu solcher Sonderstellung erkennen lassen.
Uralte, urgründig im Ewigen wurzelnde Weisheitslehren sind in seinen Glaubenssätzen verborgen, — nur selten von Seltenen in ihrer ganzen Bedeutung erkannt, von den weitaus meisten seiner Bekenner noch nicht einmal dunkel erahnt.
Gar vieles erscheint da der fatalen Geistestrockenheit unserer Tage als Petrefakt alten „heidnischen” Aberglaubens, was einst durch sonnenklare, im Lichte des Geistes glühende Erkenner, christlicher Lehre einverleibt, aber von neuerem Puritanertum, als anscheinend „wesensfremd” wieder herausgeschnitten wurde.
Hohe Eingeweihte alter, um die Wirklichkeit des Ewigen wissender Mysterien haben einst in weiser, überragender Einsicht den Tempel dieser Lehre erbaut, — und so rein und herzenseinfältig auch die Absicht Späterer war, die an den Formen dieses Tempels Anstoß nahmen, so kamen sie doch an kosmischem Erkennen nicht von ferne Jenen gleich, die einst Grund- und Aufriß dieses Tempelbaues schufen.
In bester Absicht, und auch im Grunde durch manches Geschehen wohlberechtigt zur Kritik, haben diese Späteren am Bau gesündigt ohne es zu ahnen. Die Geschichte zeigt nur allzudeutlich, daß wesentliche Steine des Baues entfernt wurden, so daß dem steten Abbröckeln des Mauerwerks kaum mehr Einhalt zu tun ist.
Nur ein erneutes tiefes Eindringen in die ewigen Mysterien, denen das Christentum lebendige Darstellungsform zu schaffen berufen ist, kann diese folgenschwere Unterbrechung seiner Entfaltung beenden, kann gegenseitiges Verstehen und Duldung schaffen, und kann seine einzelnen Bekenntnisarten zu gegenseitiger Befruchtung und Erneuerung wachrufen.
Gegensätzliche Auffassungsarten mögen in Ruhe so lange bestehen bleiben, wie sie vonnöten sind, und man maße sich nicht hier ein Richteramt an, wo höchste geistige Leitung allein das Gegensätzliche zu seiner Zeit zu vereinen fähig ist.
Die wahren Helfer in den heutigen Nöten des Christentums sind vor allem jene deutschen Geisteskünder, die man als „mittelalterliche Mystiker” zu kennen meint: — die wirklichen „Theosophen” im paulinischen Sinne, — die wahrhaftigen Geisteskundigen, wie Eckehard, Tauler, der dem Namen nach unbekannte Frankfurter Deutschordensherr, dem wir das „Büchlein vom vollkommenen Leben”, die „Theologia deutsch” verdanken, der Domherr Thomas a Kempis, der seinen Mitgläubigen die „Nachfolge Christi” schenkte und — für die, denen seine kosmischen Gesichte nicht allzu grandios und erdrückend sind, der Görlitzer Seher Jakob Böhme. — Obwohl er vor allem Dichter ist, darf auch Angelas Silesius an dieser Stelle nicht vergessen werden.
Ein weites Wirkungsfeld eröffnet sich jedoch auch einer neueren Theologie, ohne deren zielbewußte Hilfe die entstandenen Schäden kaum zu heilen sind.
In erster Linie gilt es da, den Knäuel der dogmatischen Verwirrung aufzulösen, der durch die religionsgeschichtliche, also rein zeitlich, bedingte Gleichsetzung des Meisters von Nazareth mit der Selbstaussprache des ewigen Urlichtes, — dem Logos — entstanden ist.
Hier ist eine wirkliche Re-formation, eine wirkliche Reinigung der Begriffe, brennend nötig. —
Die Darstellung der Selbstaussprache Gottes, des Logos, des ewigen „Wortes, das bei Gott ist und Gott ist” und die reinlich davon zu trennende Darstellung der geist-menschlichen Potenz, die uns in dem Meister der Evangelien entgegentritt, — das alles theologisch derart begründet, daß jedes ältere Dogma dadurch nicht aufgehoben, sondern im wahrhaftigsten Sinne verklärt würde, — diese Tat harrt noch des Mutigen, der sie wagt, des Kundigen, der sie zu wagen imstande ist, und der Segen, der aus dieser Tat erblühen könnte, wäre unermeßlich.
Die uralte Weisheitslehre, deren Künder in unseren Tagen zu sein, ich verpflichtet bin, steht in keinerlei Gegensatz zu dem ewigen Wesenskern des Christentums, so gegensätzlich dem oberflächlichen Blick auch manches in dieser durch mich vertretenen Lehre fürs erste erscheinen mag.
Wer begriffen hat, aus welcher Quelle diese Lehre stammt, dem muß schon der bloße Gedanke absurd erscheinen, daß hier ein Gegensatz obwalten könnte.
Es ist jedoch nicht meine Aufgabe, der Sachwalter irgend eines Religions-Systems der Menschheit zu sein, und sei es auch das erhabene Lehrgebäude des Christentums.
Ich habe nur die hohen ewigen Werte aufzuzeigen, deren Zeuge jedes der großen geistig befruchteten Religions-Systeme der Erde ist.
Das schließt nicht aus, daß ich, — von christlichen, uralten deutschen Stämmen und Geschlechtern entsprossenen Eltern geboren und im Christentum unterrichtet, — alle meine Voreltern in diesem Glauben einst geborgen wissend, — mir selbst die Pflicht setze, zu einer echten Vertiefung christlicher Lebensauffassung, vom Standpunkt der mir möglichen inneren Wesensschau her, das meinige beizutragen.
Schon gibt es nicht Wenige, und nicht wenige Seelenhirten der beiden hauptsächlichen christlichen Konfessionen, denen meine Lehren Führer wurden bei ihren suchenden Wanderungen durch die Wunderwelt christlicher Lehre. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, daß immer mehrere, die guten Willens sind, sich das, was ich oft in anderer Form zu sagen habe, in „christliche” Sprache übersetzt, zu eigen machen werden, um so ihrer eigenen Glaubensmeinung untrügliche Stütze zu geben.
Es ist keineswegs nötig, ja es wäre im höchsten Grade verderblich, neue christliche, oder sonstige geistige Gemeinschaften begründen zu wollen.
Wir haben der Kirchengemeinden und Konventikel wahrlich schon mehr als genug!
Ein Jeder aber, der in irgendeiner dieser Gemeinden verankert ist, und der überzeugt zu sein glaubt, daß die christliche Form der Gottesgemeinschaft mehr zu seinem Herzen spricht als Anderes, sei auf seine Weise bemüht, durch sein eigenes Leben, seine eigene vertiefte Erkenntnis und Gläubigkeit, der Enthüllung des ewigen göttlich-geistigen Wesenskernes des Christentums zu dienen.
Er suche aber auch jene Anderen zu verstehen und erziehe sich zur Ehrfurcht vor ihrer Geistesführung, die in anderen Formen als er, dem Wesenskern des Christentums zu nahen suchen.
Und ferne sei ihm jede pharisäische Selbstgerechtigkeit, die ihrer Verehrung christlicher Lehre nicht besser Ausdruck geben zu können meint, als indem sie den in nicht-christlicher Form die Wahrheit Suchenden verständnislos, oder gar mit Haß begegnet!
In den Einöden Innerasiens leben auch heute Männer, denen kein Europäer außer dem, der hier spricht, sich an wirklicher Einsicht in das, was das Wesen des Christentums ausmacht, auch nur formell vergleichen darf, und denen trotzdem nichts ferner liegt, als sich einem „christlich” gemeinten Glaubenskreise anzuschließen.
„Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend, und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tische sitzen.”
Ist es noch nötig, zu sagen, daß nur lächerlicher Hochmut und blinde Anmaßung sich vermessen können, zu glauben, die Absichten des göttlichen Geistes hinsichtlich der Zukunft des Christentums, vorwitzig bestimmen zu dürfen?! —
Allüberall hat „der Herr der Ernte seine Arbeiter in seinen Weinberg gesandt”, und jede fruchtbringende Rebe wird von ihnen gefunden und sorglichst gehütet werden.
Die gleiche geistige Sonne wird die Früchte aller Reben zur Reife gelangen lassen, zu geistig gesetzter Zeit!