Der alten Sendschrift erste Formung wiederherzustellen, ist auch dem Schauenden unmöglich, dem sich dagegen der ursprüngliche Inhalt zeigt in geistigem Erschauen seiner urgegebenen Bedeutung, und keineswegs etwa in Worten jener alten Sprache, in denen ihn die Urschrift dargeboten hatte. – Geistiges Erschauen, das nur bei wachen – ja fast überwachen – Sinnen erreichbar ist, erfordert von dem Schauenden, der noch an die Gesetze dieser Erde durch die irdische Erscheinungsform gebunden ist, so unerhörte Kräfte um die Einstellung auf das Erschaubare auch fest zu halten, daß überdies hier auch der Wert des Resultats in keinerlei Verhältnis stehen würde, zu dem Aufwand, den die Erreichung dieses Resultats verlangte, wenn man der ganzen Urschrift ursprünglichen Sinn in lückenloser Folge wiedergeben wollte. Die Wenigen allein, die solches Schauen aus Erfahrung kennen – und nur den noch im Erdenkleide hier auf dieser Erde Wirkenden der «Leuchtenden des Urlichts» ist ein solches Schauen möglich – wissen um die Kraftausgabe langer Jahre die da Vorbedingung ist, um in des eigenen Erlebens Helle zu erblicken, was ein Menschengeist der Vorzeit in sich trug als er sein Werk zu formen suchte. –
Was so erschaut wird im Erleben – nicht etwa von außen her – muß dann erst neue Formung finden in den Worten dessen, der es schaut, um so in seiner eigenen Redeweise des ersten Formers wahre Meinung aufzuzeigen, in einer Wortform die den Menschen seiner Tage sich erschließen kann, selbst wenn er dabei keineswegs darauf verzichtet, sich auch der Worte zu bedienen, die er in den Textfragmenten noch erhalten sieht in ursprünglicher Gestaltung.
Es würden jene, die „das Wort der Schrift” für «göttlich» halten, nur frevelhafte «Schrift Verfälschung» wittern, und jene anderen, die ohnedies aus eigener Erforschung wissen, wie es in Wahrheit um die «Göttlichkeit» des alten, arg entstellten Textes steht, würden gleichwohl eine neue Wiedergabe die sich, ohne äußeren «Beweis» für ihre Findungen, als Resultat des geistigen Schauens zu bekennen hätte, bestenfalls als Träumerei bewerten. –
Ich werde dennoch – wenn auch nur im Bruchstück – manches aus dem alten Texte hier in diesem Buche wiedergeben müssen, und werde es hier wiedergeben, so wie es sich dem Schauenden dem Sinne nach enthüllt.
Es sei mir aber ferne, frommen Glauben anzutasten, der den arglos Gläubigen beglückt, und ihn – ist er es wert – auch in der wunderlichsten Form zur Wahrheit führen kann.
Gleich ferne liegt mir die törichte Absicht, was ich in diesem Buche bringe, der gelehrten Forschung zu empfehlen, obwohl ich in mir selber gute Gründe finde um hier auszusprechen, daß sicherlich noch manche alte Handschrift ihres Finders harren dürfte, aus der sich meiner Wiedergaben Richtigkeit dereinst erweisen lassen wird…
Hier sei zuerst nun aufgezeigt, wie jene Glaubenseiferer des neuen Kultes, denen einst die alte Sendschrift in die Hände fiel, mit ihrem Texte skrupellos zu schalten wußten.
Der unbekannte Verfasser dieser Sendschrift hatte einst – dem Sinne nach – geschrieben:
«IM ANFANG IST DAS WORT, UND DAS WORT IST IN GOTT, UND GOTT IST DAS WORT.
ALLES HAT DASEIN NUR IN IHM, UND AUSSER IHM IST NICHTS IM DASEIN: AUCH DAS GERINGSTE NICHT.
IN IHM HAT ALLES LEBEN UND SEIN LEBEN IST DER MENSCHEN LICHT.
DAS LICHT LEUCHTET IN DER FINSTERNIS, UND DIE FINSTERNIS KANN ES NICHT AUSLÖSCHEN.
ES IST IN DER WELT UND DIE WELT IST AUS IHM GEWORDEN, ABER DIE WELT ERKENNT ES NICHT.
ES IST IN SEINEM EIGENEN, ABER DIE IHM EIGEN SIND, NEHMEN ES NICHT AUF.
ALLEN ABER, DIE ES AUFNEHMEN GIBT ES MACHT, GOTTGEZEUGTE ZU WERDEN: DIE NICHT GEZEUGT WERDEN AUS DEM BLUTE, NICHT AUS DES WEIBES WILLEN, NICHT AUS DES MANNES WILLEN, SONDERN AUS GOTT GEZEUGT, AUS DER FÜLLE DER GNADE UND WAHRHEIT.»
Hier war einst der Zusammenhang durch nichts anderes unterbrochen, und es war lediglich Absicht des Verfassers, durch diese Worte die sich im engsten Anschluß an die damals verbreitete Lehre vom «Logos» hielten, den Getreuen, an die seine Sendschrift gerichtet war, einen deutlichen Hinweis zu geben, in welchem Sinne er das nun Folgende aufgefaßt wissen wollte.
Und dann erst begann er die Erzählung von dem Täufer, die er bereits in den alten Schriften vorgefunden hatte, auf seine Weise zu verwerten, da er nicht nur zu den Jüngern des Täufers, die zu jener Zeit noch zu finden waren, sich im Gegensatze wußte, sondern auch den Seinen zeigen wollte, daß weder die strenge Askese, die der Täufer als ein Abgesandter einer mystischen Sekte einst gepredigt hatte, das Heil gewähre, noch die Wassertaufe des neuen Kultes, der sich nach dem hohen Meister nannte.
Daneben aber wollte er dem Irrtum wehren, als sei der hohe Meister – wie es ältere Sage wollte – erst des Täufers Schüler gewesen, bevor er selbst zu lehren begann.
Darum läßt er des Täufers Jünger diesen verlassen, als er selbst bekennen muß, daß er zwar mit Wasser taufe, jener Jehoschuah aber mit Geist zu taufen wisse.
Dies nun sagten – dem Sinne nach – die ursprünglichen Worte:
«ES WAR EIN MENSCH, DER NANNTE SICH JEHOCHANAN.
UND DIES IST ZU BETHANIA GESCHEHEN, JENSEITS DES JORDANS, WO JEHOCHANAN TAUFTE.
JEHOCHANAN SPRACH:
ICH TAUFE MIT WASSER, ABER ES IST EINER IN EURER MITTE UND IHR KENNT IHN NICHT: DER WIRD TAUFEN MIT GEIST!
NICHT WERT FÜHLE ICH MICH, IHM AUCH NUR DIE RIEMEN SEINER SANDALEN ZU LÖSEN.
EINES ANDEREN TAGES ABER STAND JEHOCHANAN DA MIT ZWEIEN SEINER JÜNGER.
UND ALS ER DEN JEHOSCHUAH VORÜBERGEHEN SAH, SPRACH ER: DIESER IST ES!
ICH KANNTE IHN SELBST NICHT, ABER DER MICH BEAUFTRAGT HAT MIT WASSER ZU TAUFEN, SPRACH ZU MIR:
WENN DU EINEN SEHEN WIRST, ZU DEM EIN GEIST HERABKOMMT UND ER BLEIBET IN IHM: DER IST ES, DER MIT GEIST ZU TAUFEN KOMMEN WIRD.
UND JEHOCHANAN BEZEUGTE UND SPRACH:
ICH SAH EINEN GEIST AUF IHN SICH NIEDERSENKEN WIE SICH EINE TAUBE NIEDERLÄSST, UND DER GEIST BLIEB IN IHM.
UND DIE ZWEI JÜNGER HÖRTEN IHN DAS SAGEN UND FOLGTEN DEM JEHOSCHUAH.»
Läge die Urschrift heute einem Übersetzer vor so könnte er vielleicht die Form der Sätze anders wiedergeben, vermöchte aber keinesfalls zu anderer Bedeutung zu gelangen.
Es war dem Verfasser der alten Sendschrift keineswegs daran gelegen, daß sich die Form in der er die Erzählung gab, mit den Berichten deckte, die aus ihr sich die Bestätigung zu schaffen suchten, daß der Täufer in dem Meister den «Messias» erkannt und bekundet habe.
Es fehlt hier auch vieles das man an gleicher Stelle in der heute überlieferten Textgestaltung findet.
Was hier aber fehlt, ist in dem überlieferten Texte Zutat der gleichen Gehirne, die den Urtext so zu ändern wußten daß des Täufers schon Erwähnung geschieht in den Worten die der ganzen Sendschrift Auftakt bilden.
In mannigfacher Abwandlung suchten sie den Urtext den ihnen heiligen früheren Berichten anzugleichen.
Was in der ersten Zeit des neuen Kultes «Abschrift» hieß war nichts als Paraphrase, und jeder Schreiber der aufs neue Abschrift nahm, hielt es für durchaus gut und richtig, den Text so zu verändern, daß er seiner eigenen Glaubensmeinung Stütze wurde.
Auf solche Weise ist der Text der ganzen Sendschrift oftmals umgestaltet worden, bevor der Text entstand, der aller überlieferten Gestaltung nun zugrunde liegt.
Man kann bedauern, daß die Urschrift nicht erhalten ist, allein man darf nicht – durch seine Wünsche bestimmt – das heute Überlieferte nach Möglichkeit zu retten suchen, sondern muß sich klar darüber werden, daß weit mehr davon Veränderung und Zutat ist, als das Erhaltene ausmacht, was noch originale Züge trägt. – –
Nur wer die Lehre in sich aufgenommen haben wird, die einst der hohe Meister den Getreuen gab, und die noch in dem kleinen Kreis lebendig war, an den der Urschrifttext dereinst erging, der wird mit aller Sicherheit erfühlen was noch Urschriftprägung trägt und was da fromme Fälschung ist.
Solange sich nicht wohlverwahrte alte Texte finden lassen, die der Urschrift immerhin noch näher stehen als das heute Überlieferte, wird dies der einzige Weg sein, hier zur Klarheit zu gelangen.