Das Geheimnis:

Santo Spirito


Wie am Vortage bereits verabredet worden war, verließen die drei Freunde in der Morgenhelle die Stadt, um ein nicht allzuweit gelegenes Kloster aufzusuchen, das aus der hügeligen Umgebung wie ein Wahrzeichen aufragte, hoch auf einen isolierten Felskegel getürmt, so daß es fast eher einem trutzigen Kastell, als einer Stätte des Gebets und des Friedens glich.

Dort oben sollte man eine wundervolle Aussicht genießen über die ganze, mit malerisch hingelagerten Dörfern und Flecken besäte Hügelkette und über das weithin durch eine ausgedehnte Bucht umsäumte Meer.

Der Aufstieg aber, ein alter, mit den Stationen der Leidensgeschichte des Erlösers fromm geheiligter Wallfahrtsweg, wurde als ziemlich beschwerlich und meist schattenlos geschildert, so daß man darauf bedacht war, das Kloster, wo selbst man auch leibliche Erquickung finden konnte, möglichst noch vor dem Höchststande der Sonne zu erreichen.

Sodann wollte man während der heißesten Tagesstunden dort oben im Freien ruhen und womöglich das gestern so verheißungsvoll begonnene Gespräch fortsetzen, um dann erst am späten Nachmittag wieder zur Stadt zurückzukehren.

Mit einigem Mundvorrat – soweit er sich in den Taschen unterbringen ließ – hatte man sich zur Not versehen, wobei man auch die saftreichen Früchte des Landes nicht unbeachtet ließ.

So wanderten die drei Männer – der jüngste in der Mitte – frisch ausschreitend, zuerst über eine fast schnurgerade, staubige Landstraße dahin, auf der sich trotz der frühen Stunde, die Sonnenwärme schon recht fühlbar machte.

Der Weizen nebenan auf den Feldern stand schon hoch in grünen Ähren und jeder schmale Landstreifen wurde gleichsam eingefaßt von hängenden Weinreben, die sich an niederen Ulmen und gelegentlich auch an Maulbeerbäumen hochrankten, so daß es oft den Anschein gewann, als sei der ganze Baum ein Weinstock, da sein eigenes Laub fast völlig unter den Blättern der Rebe verschwand.

Dazwischen gab es auch Artischockenfelder und Äcker mit anderen Gemüsearten, dann wieder wildes Buschwerk an schmalen Wassergräben, hoch überragt von jungen, schlanken Pappeln, deren Laubwerk man längs des Stammes entfernt hatte, so daß ihre Kronen wie Büschel auf hohen Stielen in den silberweißen, seidenglänzenden Himmel standen.

Rechts, nach der Seite des Meeres zu, dehnte sich weithin dann üppiges Wiesenland, stellenweise durchzogen von niederen verkrüppelten Weidenstämmen, und in der Ferne am Strande gewahrte man ein paar halbzerfallene Fischerhütten.

Aus der türkisfarbenen Meeresfläche aber leuchteten einige ockergelbe und orangerote Spitz segel auf, die völlig unbewegt an ihre Stätte gebannt zu sein schienen.

 

*

 

Die drei Wanderer waren offenbar noch nicht recht zum Sprechen angeregt, und so kam es, daß sie meist ohne zu reden ihre Augen schweifen ließen.

Nur dann und wann wurden kurze Worte gewechselt, sei es, daß irgendein Gegenstand des einen oder anderen Interesse erregt hatte, oder daß man seinem Verwundern Ausdruck gab, zu so früher Stunde schon die Strahlen der Sonne derart kräftig zu verspüren.

Es mochte so eine gute Stunde, oder auch etwas mehr, vergangen sein, als man sich an einem kleinen Bildstock angelangt fand, neben dem der Seitenweg abzweigte, der jetzt einzuschlagen war, wollte man dem immer noch beträchtlich entfernten Felskegel näher kommen, dessen Schattenseite, in milchigen Duft getaucht, ihn jetzt wie eine brutale Kulisse aus dem sanft geschwungenen Hügelgelände emporsteigen ließ.

Zum wenigsten war man nun der allzuermüdenden Gleichförmigkeit der staubigen Landstraße entronnen und es währte auch nicht lange, bis der mäßig ansteigende und mannigfach gewundene Weg sich durch hohe Busch- und Baumgruppen, Fliederbüsche und Kastanienhaine, emporgeleiten ließ, die immerhin einigen, recht wohltuend empfundenen Schatten spendeten.

So hatten sich die drei Wanderer allmählich dem Fuße des Felskegels immer mehr genähert, als man vor dem eigentlichen Anstieg, an einer dürftig rinnenden steingefaßten Quelle kurze Rast zu halten beschloß.

 Hier war man schon unterhalb einer jäh aufragenden Felswand, von der wohl eine Erderschütterung einige Blöcke heruntergeschleudert haben mochte, die nun, mit weichem Moose bedeckt, die erwünschtesten Ruhesitze, im dichten Schatten des Berges, unter mächtigen Wallnuß und Kastanienbäumen boten.

Rings umher war der steinigte Boden dicht überschüttet von den Stachelhülsen und zahllosen, bereits geschrumpften, vertrockneten Früchten der Kastanie – dazwischen knirschten unter den Füßen die zertretenen Nußschalen, und man konnte gut bemerken, daß diese schattige Stelle schon so mancher Wallfahrerprozession als Rastplatz gedient haben mochte, bevor sie den sündentilgenden Steilweg, zwischen den Kreuzwegstationen empor, zum hohen Kloster beschritt.

Wenn auch das Wasser nur recht spärlich zur zeit aus der Steinröhre der Quelle sickerte, so dünkte es doch den drei Männern als ein gar köstliches Labsal und jeder wartete stets wieder geduldig bis der Reisebecher sich gefüllt hatte, um ihn dann in einem Zuge zu leeren.

So war unter allerlei frohen Worten, wie sie bei derlei Gelegenheit sich von selbst ergeben, geraume Zeit vergangen.

Man hatte sich genügend an dem Mitgeführten und dem Wasser der Felsenquelle erfrischt und fand es nun geraten, wieder aufzubrechen, um den Büßerweg emporzuklimmen.

 

*

 

Wenn Menschen, die sich etwas zu sagen haben, längere Zeit nebeneinander gingen und im Schweigen verharrten, so geht ihnen das Wort nicht bald wieder verloren, so sie es nur erst aufs neue fanden!

Das war auch an den drei weltlichen Wallfahrern zu bemerken, die nun, nicht weit von ihrem Rastplatze entfernt, bei einer kleinen Kapelle der Schmerzensmutter die ausgetretenen, in das Felsgestein gehauenen unbequemen Stufen vor sich sahen, auf denen der Weg jetzt die andere Seite des Felskegels entlang, in praller Sonne und ohne die mindeste Aussicht auf schattenspendendes Gehölz, in unzähligen Serpentinen aufwärts führte.

 

*

 

„Etwas besser hätte ich mir diesen Weg der Leidensstationen eigentlich doch vorgestellt”, meinte der Weißbärtige, obwohl er trotz seines Alters bis jetzt gezeigt hatte, daß er es auch mit dem Jüngsten der Drei noch spielend aufnehmen konnte.

„Nun, es wird hoffentlich nicht immer in dieser holperigen Treppenweise weitergehen”, erwiderte der andere, während der Jüngere lachend einfiel und sagte:

„Ich fürchte, wir sehen hier noch den verlockendsten Teil unseres Aufstiegs vor Augen, und dort oben, wenn die Erquickung am Ziele schon bald erreicht scheint, haben uns die ehrwürdigen Väter des Klosters dann erst das Schwerste aufgespart!”

Aber der Weißbärtige gab ebenso lachend zur Antwort:

„Mich schrecken Sie mit Unkenrufen nicht und vorläufig rechne ich mich noch lange nicht zum alten Eisen! Ich komme schon hinauf und wenn es eine Kletterei gibt wie an einer Dolomitenwand! Umsonst habe ich nicht noch vor ein paar Jahren die altgewohnten, schwierigsten Bergtouren gemacht! Da meinte es die Sonne manchmal auch nur allzugut und es ist doch gegangen!

Aber ob unser lieber, wohlbeleibter Freund hier nicht die Lust verlieren wird, ist eine andere Sache!”

Der Alte war durch die anregende Wanderung ordentlich jugendfrisch geworden, und wäre sein Äußeres nicht gewesen, nach dem man ihn als reichlichen Sechziger einschätzen mußte, so hätte man ihn heute wohl für ganz erheblich jünger halten können.

Nun gefiel er sich geradezu in der Rolle des mit seiner Jugendkraft und Ausdauer kokettierenden Alters, und die beiden anderen fühlten das und hüteten sich, ihm seine Freude zu verderben.

,,Ja, ja,” erwiderte der eben wegen seiner Korpulenz ein wenig Verspottete, „unser Freund ist trotz seiner Jahre am Ende doch der jüngste unter uns!

Da grast er zwar alle Bibliotheken ab und sitzt dann wochenlang hinter seinen Schmökern, aber trotzdem findet er noch Zeit dazu, sich als Alpinist zu betätigen, so daß es schon beinahe keine Bergtour gibt, die er nicht in seinem Leben einmal gemacht hat, und daß alle Alpenhütten ihm schon Nachtherberge boten!

Unsereiner kann da freilich nicht mit!”

Aber der Alte wehrte doch jetzt ab und meinte: ganz so schlimm sei es schließlich nicht, wenn er sich auch etwas darauf zugute halte, daß er mit seinen dreiundsechzig Jahren sich immer noch ganz passable Leistungen zutrauen könne.

 

Mit solchen Scherzreden, die eigentlich schlecht zu dem Bilde der um den gemarterten toten Sohn klagenden heiligen Frau passen wollten, das man in ziemlich kunstloser, bemalter Holzschnitzerei in der kleinen Kapelle gewahrte, hatte man sich gegenseitig gleichsam Mut gemacht und war nun schon eine ziemliche Strecke des Stufenweges emporgestiegen.

 

*

 

Vierzehnmal sollten sich die Bilder grauenhafter Marter eines Menschen durch Menschenhand noch wiederholen, deren erstes – in ebenso kunstloser Arbeit wie die Darstellung der „Mater dolorosa”, die gleichsam den Eingang dieses Schmerzensweges zu bewachen schien, den Aufsteigenden nun – seitlich in die Felswand eingelassen – entgegenblickte…

Gleich auf dem ersten dieser Bilder gewahrte man einen jüngeren Mann, zwar schmerzdurchbebt, aber von edler königlicher Haltung, mit bloßem Oberkörper, über und über blutend aus unzähligen Geißelwunden, einen dichten Kranz spitzer Dornen auf seinem Haupte.

Wüste Gesellen mit infernalischen Gesichtern und Gesten zerren ihn wohl vor einen Richter, der in kalter stumpfer Ruhe seine Hände in einem Becken wäscht, das ein blöder Knabe ihm vorhält.

Unwillkürlich verweilten die drei Männer und ihre Rede verstummte…

 

*

 

Mochte es nun der erschreckende Eindruck dieses Bildes sein – inmitten einer üppigen Natur, von Bienen umsummt und von Faltern umgaukelt, schamlos dem überhellen südlichen Sonnenlichte preisgegeben, – war es die stets erneuerte Peinigung des Empfindens vor jedem neuen Bilde, oder mochte das beschwerliche Steigen in immer fühlbarer werdendem Sonnenbrennen die Ursache ergeben, – – kurz: die drei Freunde erstiegen nun wortlos die nicht endenwollenden, durch tausendfache Benützung oft kaum noch kenntlichen Stufen, bis sie auch das letzte der Bilder, auf dem zu sehen war, wie man den armen Gemarterten in ein Grab versenkte, überstanden hatten.

Endlich war man auf der Höhe des Klosters angelangt, wo ein Ruhesitz, gerundet aus dem Stein gemeißelt, die Ermüdeten empfing.

Aber hatte man schon vorher bei einem der letzten jener grauenhaften Bilder mit Entsetzen den vom Beginn an gepeinigten Menschen mit Händen und Füßen angenagelt an zwei überkreuzten Balken hängen sehen, so bot sich jetzt den Rastenden hier oben das gleiche Bild erneuert dar, nur in vollendeter Gestaltung, geformt von einem, der zu formen wußte, durchströmt von einer Inbrunst des Leidens, die keinem darzustellen gegeben ist, der nicht einst selbst gelitten hat, – gelitten an denen, die ihn peinigten, und der ihnen dennoch vergeben konnte…

Aufrecht stehend unter dem Martergalgen sah man, mit gleicher Kunst gebildet, die Gestalt eines bartlosen Mannes, der – abgesehen von dem Lockenhaar – beinahe dem jüngsten der drei Freunde zu gleichen schien, und die eines händeringenden, gänzlich niedergeschlagenen Weibes, das wohl mit jener Schmerzensmutter identisch sein mochte, die unten am Eingang des Kreuzweges wachte, damit ihn keiner betrete, der das Mysterium dieses Leidens nicht erfassen könne…

Lange saßen die Freunde hier, – dachten nicht mehr der Erquickung, die sie auf der nun erreichten Höhe erwarten sollte, – achteten nicht der brennenden Sonnenstrahlen, – und verlangten nicht nach der vielberühmten Aussicht, die man von der Terrasse auf der anderen Seite des nahen Klosters genießen konnte. – –

 

*

 

Nun wäre aber niemand je so sehr in die Irre gelaufen, als einer, der etwa vermuten würde, die drei Weggefährten hätten heute zum ersten mal dergleichen Bilder menschlicher Grausamkeit gesehen, und die Geschichte jenes Gemarterten sei ihnen fremd gewesen. –

Dies war mitnichten so!

Vielmehr war der Alte aus sehr frommem, christlichem Haus, und einer seiner Brüder war zu hoher Würde in dem Priesterkreise aufgestiegen, dem er in früher Jugendzeit sich schon gelobte.

Der andere aber, der so sehr einem würdigen Abbate glich, hätte einst alle Aussicht gehabt, ein solcher zu werden, wenn ihn nicht quälende Zweifel bewogen haben würden, noch vorher ein anderes Studium zu wählen.

Der Dritte und jüngste aber war zwar nicht ein Kind der Kirche Roms, doch ehe er sich wieder aufs neue zu den Füßen der Katheder auf die Bank der Schüler setzte, um des nunmehrigen Berufes vorbedingtes Wissen zu erwerben, war er bei jungen Jahren schon in Amt und Würden und wußte gar ergreifend einer lauschenden Gemeinde von dem Marterweg zu reden, den jener einst gegangen war, als dessen vorgeblicher Diener er auf der Kanzel stand, wenn seine Kirche dichtgedrängt erfüllt war, auch von solchen, die längst, bevor man seinem Wort begegnete, die Kirchentüren nur mehr noch von außen kannten…

 

*

 

„Wie man auch zu der altehrwürdigen frommen Glaubensweise stehen mag”, durchbrach endlich der Weißbärtige die aufgeschichtet lastende Stille, „so hat doch immerhin dieses Voraugenstellen der Leiden eines als göttlich geglaubten Menschen, um dadurch das Mitleid und in seinem Gefolge den Entschluß zu reinerem Leben zu erwecken, etwas von antiker Größe!”

„Das ist durchaus nicht zu bestreiten”, meinte der „Abbate”, indem er sich noch immer den Schweiß von der Stirne wischte, „aber ich glaube nicht, daß viele von denen, die hier heraufkommen, etwas von dieser Größe verspüren!

Ich kenne diese Art Gläubigkeit vielleicht zu gut...

Man betet da vor jedem dieser Bilder eine vorgeschriebene Gebetsformel ab, versucht es auch mit knapper Not vielleicht, in dumpfem Schuld bewußtsein in sich herumzubohren, ob man nicht so etwas wie Grauen und Mitleid vor den von Kindheit an gewohnten Darstellungen dieser menschlichen Scheusäligkeiten gegenüber einem Schuldlosen aufbringen könne, und wandert dann im befriedigten Gefühl, das Seine getan und gar noch ,himmlische verdienste’ erworben zu haben, seelenruhig bis zum nächsten Bilde, bis man so die ganze Reihe durchlaufen hat. –

Außerdem aber geht mir dieses geflissentliche Betonen des Grauenhaften gegen die Natur!

Ich weiß wirklich nicht, ob das die richtige Methode ist, bösartige Instinkte im Menschen zum Verschwinden zu bringen!?

 Das Boshafte und Gemeine, das da mit plumper Kunst, aber mit so sichtlichem Wohlbehagen in den Gesichtern und Gebärden der Schergen dargestellt wird, berührt das Einfühlungsvermögen – schon weil die Darsteller dabei viel mehr in ihrem Element waren – weit stärker, als die duldende Würde des Gemarterten; und dann wird ja auch der ganze Vorgang als etwas nur einmal auf der Erde Geschehenes aufgefaßt, während man nicht im Traum daran denkt, daß später im Namen eben dieses Gepeinigten viel entsetzlichere Scheußlichkeiten begangen wurden! – – –

Schreibt doch da selbst im Jahre des Heils’ Eintausend neunhundertundeins ein, Priester’, der sich nach dem Namen des Gekreuzigten nennt, in seinen ‚Institutionen des Kirchenrechts’ die menschenfreundlichen Worte:

„Die weltliche Obrigkeit muß auf Befehl und im Auftrage der Kirche die Todesstrafe am Häretiker vollziehen und kann den von der Kirche der weltlichen Gewalt übergebenen der Todesstrafe nicht mehr entziehen.

Dieser Strafe verfallen nicht nur diejenigen, die als Erwachsene vom Glauben abgefallen sind, sondern auch jene, die getauft sind und mit der Muttermilch die Häresie eingesogen haben und erwachsen sie hartnäckig festhalten.

Diese Strafe trifft auch, wo sie ein geführt ist, alle rückfälligen Häretiker, auch wenn sie sich bekehren wollen, sowie alle, die nach erfolgter Mahnung hartnäckig sind.“ – – –

 

Ich muß sagen, daß mir ein ‚Erlöser’ recht notwendig erscheinen würde, der einen Menschen, in dessen Gehirn derart scheusälige Gedanken sich formen konnten, von seinem Denken erlösen würde! – –

In die Gesellschaft dessen, den man da auf den Bildern als Gemarterten dargestellt sieht, gehört er wahrlich nicht, aber unter den mit so wollüstiger Freude am Grausamen wiedergegebenen Henkersknechten könnte er sich mit Ehren sehen lassen!”

 

*

 

„Sie nehmen aber derartige Äußerungen doch auch gar zu ernst”, erwiderte der Alte. „Ich möchte hier weder die vom heiligen Ignatius von Loyola gestiftete Gesellschaft, der auch mein Bruder angehört, und unter deren Mitgliedern ich manche gelehrte Freunde zähle, die recht wohl wissen, daß ich meine eigenen religiösen Wege gehe, noch gar die Kirche selbst für solche Äußerungen eines römischen Heißsporns, die ich sehr wohl kenne, verantwortlich machen!

Der Herr kann aus seiner recht subjektiven Enge eben nicht heraus!”

 

*

 

„So! – Er kann nicht heraus?!” entgegnete der Physiker.

„Aber die römische Kirche hat doch die sattsam bekannte Institutionder , Indexkongregation’!

Warum setzt sie nicht auch einmal Werke, in denen, im Namen dessen, durch den der Grund gelegt wurde auf dem sie ihr stolzes Gebäude aufrichtete, solche Unmenschlichkeiten propagiert werden, auf den ,Index’ und rückt so wenigstens formal von ihnen ab?!

Meines Wissens ist das nicht geschehen!”

„Aber die päpstliche Kirche”, widersprach der Alte, „ist doch in der heutigen Praxis durchaus tolerant, und gerade der Gesellschaft der jener Priester zugehört, macht man viel eher den Vorwurf, daß sie gegenüber der menschlichen Schwachheit nur allzuviel Nachsicht habe!”

„Ja, wo es ihr paßt”, parierte der andere, „und was die heute geübte ,tolerantere Praxis’ angeht, so stellt sie eine Tugend der Not dar, wenn man nicht eher sagen darf, daß gerade diese tolerante Praxis höchst subjektiver Natur ist, und keineswegs in dem begründet erscheint, was man sich als kirchliche Jurisdiktionsgewalt im Laufe der Zeiten zurechtgetüftelt hat und woran man leider auch heute noch – wenn auch in vorsichtigerer Anwendung – den eigenen Halt zu finden glaubt, obwohl es schon arger, und wahrlich bedenklicher Sophismen bedarf, um das alles mit der Lehre des Nazareners, auch nur unter Auguren, in scheinbaren Einklang zu bringen! – –

 

*

 

„Sie reden da von der Lehre des Nazareners”, warf nun der jüngste der drei Männer ein, „wie von einer Sache, über die man sich mit Leichtigkeit unterrichten könne!

 Ich muß dagegen einwenden, daß es wenige Dinge auf Erden gibt, über die man mit ähnlicher Selbstverständlichkeit spricht, ohne sie zu kennen, wie eben gerade die Lehre des Nazareners! –

 

*

 

 Was man an literarischen Zeugnissen dieser Lehre besitzt – die sogenannten ‚Evangelien’ – ist von Anfang an Bericht aus zweiter Hand gewesen und wurde, bevor es auf uns kam, in der skrupellosesten Weise von den verschiedensten Bearbeitern umgemodelt, weil jeder versuchte, die Bestätigung seiner eigenen beschränkten Schulmeinung durch die Autorität des hohen Meisters sicherzustellen. – Jeder der frühen Abschreiber las aus den ohnehin nur fragmentarischen Berichten über die Lehre nur das heraus, was er selber zu fassen vermochte, und glaubte sich so bei bestem Gewissen berechtigt, ihm Unverständliches zu ändern, bis schließlich die letzte Form der Abschriften entstand, die für uns die frühesten, noch erreichbaren Texte darstellen, auf denen all unser äußeres Wissen über die Lehre des Meisters von Nazareth sich gründet. – –

 Wer aber glaubt, daß außer diesen literarischen Dokumenten von bereits so zweifelhafter Glaubwürdigkeit, etwa eine mündliche Tradition sich erhalten haben könne, der zeigt gar wenig Menschen- und Geschichtskenntnis…

 Schon die alltägliche Erfahrung lehrt jeden Richter, daß auch die glaubwürdigsten Zeugen einer leicht faßbaren Begebenheit, die verschiedensten Berichte geben, trotzdem jeder die ganze Wahrheit zu bekunden glaubt. – –

 Blickt man sich aber in der Geschichte der Menschheit etwas genauer um, so bedarf es wahrlich nur geringer Kritikfähigkeit, um zu sehen, wie Worte und Ereignisse sich im Laufe weniger Jahrzehnte schon zu ändern vermögen, um irgendwelchen Wünschen Mächtiger, oder dem Bedürfnis der Menge gerecht zu werden. – –

 Ich spreche es darum hier unumwunden aus, und bin mir der Tragweite meiner Worte gar wohl bewußt: – daß kein Mensch auf dieser Erde etwas Sicheres über die Person und Lehre des Jehoschuah von Nazareth weiß oder in Erfahrung bringen kann, solange ihm nicht die Lehren der »Leuchtenden des Urlichtes’ zugänglich wurden, denn der Mann, der im Mittelpunkte der alten Berichte steht, war ein Zugehöriger dieser geistigen Vereinung Gottgeeinter, und was er lehrte, lehrte er wie es der ,Vater’ ihm geboten hatte, – der ,Vater’ dieser Leuchtenden, den jeder seiner ,Söhne’ kennt und von dem jeder aus ihnen sagen darf:

,Ich und der Vater sind eins!’

,Wer mich sieht, der sieht auch den Vater!’ – – –

 

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Jede der vielen Glaubensgemeinschaften, die sich heute nach dem Namen dieses hohen Meisters, dieses ,Gesalbten’ oder Christos, nennen, besitzt wohl in irgendwelchen Bruchstücken irgendwelche Teile seiner Lehre und sucht sie so gut wie es gehen mag, ihrem Verständnis anzupassen, wobei freilich meist das Beste verloren geht. – –

Die einen tilgen alles, was über ihre eigene, rationalistische Denkweise sich erhebt, und fälschen unbewußt des Meisters Lehre in eine erhabene menschliche Ethik um, während die anderen durch Zwang zu erreichen suchen, daß erhalten bleibe, was sie selbst nur noch irrig deuten.

Die Kirche Roms krankt an ihrem Ahnenstolz, wie so manche Adelsfamilie, der die Zahl der Ahnen wichtiger ward als der eigene Adel, – wogegen die von ihr losgelösten Zweige vergessen, daß zum Gedeihen ,Erdreich’ gehört, und so sich nicht beklagen dürfen, wenn sie all mählich ihre Lebenskraft verlieren! – – –

 Wer wirklich ein Jünger des Meisters der Evangelien werden will, der darf nicht glauben, von diesen menschlichen Institutionen abzuhängen, auch wenn er in einer oder der anderen vieles zu finden weiß, das ihm gemäß ist und zu seiner Seele spricht!

 Aber auch nicht durch die Loslösung von solcher Gemeinschaftsbildung kommt er dem Meister näher, sondern nur durch Vertiefung seiner eigenen Erkenntnis, die sich in jeder Glaubensform zum Aufleuchten bringen läßt!

 So wollen wir nicht hadern über der anderen Torheit, sondern selbst die Weisheit suchen! –”

 

*

 

 Hier endete vorerst der jüngere der drei Männer, und seinen bewegten und bewegenden Worten folgte eine tiefe, fast atemlose Stille.

Es war, als ob der Gekreuzigte, unter dessen kunstreich gestaltetem Bilde die Drei – die sich unwillkürlich während solcher Rede erhoben hatten – nun standen, segnend seine durchbohrten Hände über sie breite, und als ob Mann und Weib, die man steinern im Schmerz versunken unter dem Kreuze gewahrte, aus den Worten des Begeisterten Trost schöpfen wollten…

Viel länger als beabsichtigt war, hatte man hier verweilt, und die drei Freunde schritten nun im Gefühl einer heiligen Erregung, die von dem Sprechenden ausgegangen war und sich den beiden anderen mitgeteilt hatte, durch den blühenden, von den Mönchen sorglichst gepflegten Garten dem nahen Kloster zu.

Vor dem überreich skulpierten Barockportal machten sie Halt.

Dem schweren, schmiedeeisernen Klingelzug gehorchte eine tiefgestimmte Glocke, die man im Innern der Klosterräume ertönen hörte, und als bald öffnete sich eine kleine Pforte in dem mächtigen geschnitzten Torgebilde, das von dem steinernen Portal umschlossen war.

Ein dicker Franziskanerfrater begrüßte lächelnd die Ankommenden und schloß hinter ihnen so gleich wieder den Einlaß, der, als ein Tor im Tore, die architektonische Gliederung des Ganzen auch im geöffneten Zustande keineswegs beeinträchtigt hatte.

Die Freunde fanden sich in einer hohen, leidlich lichten Halle, während der Bruder Pförtner ihnen voranschritt und sie dann über einige Stufen, die er in sorglicher Vorsicht zu beachten empfahl, in einen kleinen gewölbten Raum geleitete, den Tische, Bänke und Stühle einigermaßen füllten und der an seinen weißgetünchten Wänden keinen anderen Schmuck aufwies, als ein großes schwarzes, hölzernes Kruzifix.

Hier bat er, dem offenbar die leibliche Stärkung der Besucher des Klosters oblag, die drei Männer, zu verweilen, um alsbald mit einer mächtigen Schüsseldampfender „Minestrone”, jener köstlichen italienischen Gemüsesuppe, wiederzukehren, die er vor ihnen niedersetzte.

Aus einem Wandschrank holte er Teller, Löffel und Gläser, verschwand wieder und kam zurück mit einer bastumflochtenen langhalsigen Flasche, mit einem zinnernen Teller, auf dem eine Stange weißen Brotes lag, und mit einem Schüsselchen, das gefüllt war mit geriebenem Käse, den man nach landesüblicher Weise auf die Suppe streut.

So wußte er die Gäste nun versorgt, wünschte Appetit und überließ sie ihrem Mahle.

Die Minestrone mundete vorzüglich, Brot und Wein waren eine willkommene Beigabe, und da man doch, vordem man hier eintrat, allmählich recht hungrig geworden war, so durfte wohl der Bruder Küchenmeister später an der geleerten Schüssel ersehen, daß das Gebotene allen Beifall gefunden haben mußte.

Eben hatte man befriedigt den letzten Bissen genossen, als auch der bedienende Bruder wieder erschien und mit einem Blick auf das leere Geschirr scherzend bedeutete, nun sei man wohl wieder fähig, einige Anstrengung zu ertragen, und darum wolle er gerne den alten Kreuzgang und das Innere der Klosterkirche zeigen.

Einer Bezahlung des Mahles wehrte er lächelnd ab und meinte, das könne man nach Schluß seiner Führung mit einer beliebigen frommen Gabe für das Kloster begleichen.

 

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Es ist etwas sehr Schönes um diese Gastfreundlichkeit der Mönche und man darf nur bedauern, daß es auch allzuoft Klostergäste gibt, die sich sehr gerne geben lassen ohne von dem Ihren etwas entgegen zu geben, und so denn schließlich noch die Klöster, in denen bislang derartige vertrauende Gastfreiheit bestand, eines Tages zwingen werden, den guten alten Brauch aufzuheben.

 

*

 

Als man das kleine Gaststübchen verließ, meinte der „Abbate”, wie der Physiker wohl auch scherzweise oft von seinen Freunden bezeichnet wurde, in froher Behaglichkeit: „Das nenne ich praktisches Christentum!

Da wird nicht erst gefragt, ob man Heide, Jude oder Christ, und nach welcher Art man es zu sein beliebt, ob man Geld im Beutel hat oder nicht, und man vertraut wildfremden Menschen, daß sie Vernunft genug haben, Gabe mit Gegengabe zu vergelten!

Es ist doch jämmerlich, daß die ‚Frommen’ draußen in der Welt allesamt immer zu sündigen fürchten, wenn sie einem, der nicht auf ihr Glaubensbekenntnis eingeschworen ist, auch nur einen freundlichen Blick schenken! –

Hier ist so ein Stück kirchliche, und zwar uralte Praxis, das vielleicht doch Nachahmung verdiente! –”

 

*

 

 Aber es war jetzt nicht Zeit dazu, sich weiterhin über den wünschbaren Zustand zu verbreiten, der durch ein duldsames Verhalten der Menschen untereinander auf Erden entstehen könnte, so sehr auch jeder der beiden anderen dem Sprechenden Recht geben mochte; ist es doch ohne Zweifel wahr, daß die Menschen sich sehr wohl zu vertragen wissen, solange es ihnen nicht einfällt, schamloserweise ihre innersten Überzeugungen zur Handelsware zu erniedrigen, wo dann ein jeder seinen Einkauf zum höchsten gewertet sehen will, und alsbald grimmig, fuchtig und boshaft wird, wenn ein anderer meint, er habe den besseren Griff getan und sein Gespinste müsse alle anderen überdauern. – –

 

*

 

Die drei Männer und voran der Klosterbruder, waren nach wenigen Schritten vor einer tiefausgeweiteten Nische angelangt, allwo das Pfingstwunder in gleich kunstloser Darstellung wie die Marterbilder, die man vordem gesehen hatte, in buntbemalter Holzschnitzarbeit dargestellt war.

Inmitten der zwölf Jünger des Gesalbten thronte nun nicht mehr der Verkünder der „frohen Botschaft”, sondern seine Mutter.

Das Weib war an Stelle des Mannes getreten!

„Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan”, bemerkte, wie nebenbei, in tiefem Ernste der Jüngste.

Der führende Frater hielt die Darstellung für ein großes Kunstwerk, zumal sie doch zu dem Namen des Klosters in so naher Beziehung stand, denn die feurigen Flammenzungen da, über jedem Haupte, bedeuteten doch den Paraklet, den „heiligen Geist”. –

Befriedigt über das sichtliche Wohlgefallen, das die Besucher nach seiner Meinung an dem für ihn so sehr „natürlich” gestalteten Gebilde fanden, führte er sie ins Refektorium, den Speisesaal der Mönche.

Eine feierliche Vornehmheit erfüllte diesen Raum.

An den Wänden sah man nicht üble, biblische Fresken aus später Zeit italischer Kunst, und ringsum vor dem tiefbraunen Holzgetäfel standen lange linnenbedeckte Tafeln, auf denen man bereits – für die Abendmahlzeit der Mönche bestimmt – vor jedem der primitiven Schemel eine kleine Schüssel und ein Brot gewahrte.

An der Stirnseite des durch drei schmale, kleine Rundbogenfenster mäßig erleuchteten Raumes sah man sodann unter einer fast lebensgroßen Darstellung des Gekreuzigten, die den „Mann der Schmerzen”, auf Holz gemalt, an den schwarzen gekreuzten Balken zeigte – über seinem Haupte drei silberne Kronen, eine zu fünf, eine zu vier und die höchste drei Zacken tragend – den Tisch des Superiors, hinter dem statt des Schemels ein hoher Thronsessel sich erhob.

Gegenüber aber, dort wo die drei Fenster die Wand der anderen Schmalseite durchbrachen, war in der Ecke eine kleine Kanzel mit Lesepult aufgerichtet, und der Bruder erklärte den Dreien – was sie alle bereits wußten – daß dort zur Zeit des Mahles der Vorleser seines Amtes walte, damit auch bei so nötiger leiblicher Stärkung der heilige Geist nicht fehle.

Den ganzen Saal erfüllte ein starker, doch nicht gerade unangenehmer Geruch nach gekochten Hülsenfrüchten, der den Mauern, den Schemeln und selbst der kleinen Kanzel zu entströmen schien, und der in gar wunderlichem Kontrast stand zu dem Weihrauchduft, dem man in den hohen, langen Gängen, die den Speiseraum erreichen ließen, bisher begegnet war.

Wie es immer geht, wenn man Räume betritt, die zu der Zeit ihres Betretens nicht ihrer Bestimmung dienen, so geschah es auch hier: man war froh, den Saal wieder verlassen zu können und ließ sich gerne immer fühlbarer werdender frischer Gartenluft entgegenführen.

Nach einigen labyrinthischen Winkelwegen war man so in dem berühmten Kreuzgang des Klosters angelangt, den frühe Frömmigkeit mit hoher Kunst gestaltet hatte.

Ein großes Viereck war hier über und über bedeckt mit Rosen, und selbst um die dünnen steinernen Säulchen auf den Balustraden, die den breiten Gang von der Gartenerde schieden, rankten sich dornige Rosenzweige bis unter das Gewölbe.

Hier war wahrlich ein wonniges Paradies, und die frommen Patres waren wohl zu beneiden, wenn sie alltäglich die Gnade genießen durften, allhier ihr Brevier zu beten.

Wie mußte sich in diesem kühlen Wandelgang um einen Rosenhain so süß zur „Rosa mystika” das Herz erheben lassen!

 Wie nahe fühlte man sich hier den Seligen, die vor dem Thron des Lammes ihr „Laudamus te” erklingen lassen für und für.

 

 Aber schließlich geziemt es Weltleuten nicht, allzulange die Wonnen der Gottseligkeit frommer Mönche ahnend nachzuempfinden, und so mußte man denn auch diesen, stiller Versenkung und heiligem Gespräch vorbehaltenen Ort wieder verlassen, um durch den allzeit gütig lächelnden Führer sich in die Klosterkirche geleiten zu lassen.

Hier war nun am meisten bemerkenswert, daß diese Kirche gleichsam auf einer früheren Kirche stand, und in der früheren, die nun die Krypta – das Kellergewölbe der neueren war – stand heute noch der alte heidnische Opferaltar – nun von allem Bösen gereinigt und durch den Bischof geweiht – auf dem in vorchristlicher Zeit die alten Heidenpriester hier einem Gotte Opfer brachten, den sie den „Beleber” nannten, und den man im Lichte der Offenbarung freilich längst als bösen „Teufel” erkannt und aus seinem ehemaligen Tempel vertrieben hatte.

 ,,Santo Spirito’ hieß ja jetzt diese Kirche und nach ihr das Kloster, wo einst in früher Vorzeit ein Sanktuarium stand, zu dem man nur von ferne aufzublicken wagte in der ganzen Gegend, da schon der Fels, auf dem es errichtet war, als heilig galt und nur durch Götterwort aus diesem Hügelland emporgehoben schien. – –

„Veni creator spiritus” – Komm’ Schöpfer Geist! – zitierte der jüngste der Drei.

„Wielange willst du uns noch warten lassen?!”

Und der Klosterbruder nickte lächelnd, – hatte er doch ihm so bekannte Worte vernommen, die den, der sie gesprochen hatte, ihm als wahrhaft frommen Sohn der heiligen Kirche erscheinen lassen mußten…

Auch unter den Weltleuten gab es ja nach Gottes Ratschluß mitunter fromme Seelen, und wenn es ihnen auch wahrlich schwer war, das Heil zu erlangen, so zeugte doch solche Wohlvertrautheit mit heiligen Worten schon davon, daß dieser da nicht ganz verloren war. –

Er führte die drei Männer über eine steile in den Fels gehauene Treppe wieder empor zur Oberkirche, einem einst in der ersten Zeit der Christenheit begonnenen, wohl auch vollendeten und dann in Kriegsläuften wieder zerstörten Bau, der in den Stilarten aller Jahrhunderte stets neu erstanden war, und schließlich in jenem reichen Barock erhalten blieb, das man auf italischen Gefilden so oftmals trifft, als den Stil der ausgelassensten Heiligkeit.

 Hier sollte man nun zwar gar manche Altargemälde bestaunen; doch waren diese Besucher offenbar der Kunst nicht kundig, denn sie fanden nur weniges, das ihre Bewunderung erweckte.

 Der Franziskanerbruder war fast traurig!

 Nur eine büßende Magdalena, die geradezu sündhaft natürlich als Weibsperson in Erscheinung trat, und deren Bildnis – es sollte von einem Schüler des großen Tizian sein – man schon lange gern den Altertumshändlern von Firenze abgelassen hätte, wenn sie nur willig gewesen wären, den Preis zu zahlen, den der Superior dafür haben wollte, ließen sie gar nicht aus den Augen – auch der Junge nicht, der doch vorhin so heilige Worte wußte – so daß es den Frater schier verdroß und er einige Augenblicke nicht mehr so freundlich lächeln konnte, wie er es sonst solchen vornehmen Besuchern des Klosters gegenüber gewohnt war.

Es war halt doch ein Kreuz mit diesen Weltmenschen und der Teufel hatte sie wohl so halbwegs immer am Kragen!

Wohl dem, der hier seine Zuflucht gefunden hatte, wie er, nicht mehr beirrt von den Gelüsten der Welt und ihrer Hoffart entronnen!

Unwillkürlich mußte sich der arme Frater bekreuzigen…

Dann aber wurde er wieder munter, wie es seines Amtes war und ja auch himmlische Verdienste brachte, betete im stillen für diese Fremden, die vielleicht, und trotzdem sie die melodische Sprache seines Landes sprachen, dennoch „Ketzer” sein konnten, ein Stoßgebet, räusperte sich und zeigte nun mit nicht endenwollenden Erklärungen die Gräber der hochadeligen Gönner der Kirche in einer reichgeschmückten Seitenkapelle, und war maßlos enttäuscht, als auch diese Sehenswürdigkeit keinen rechten Anklang fand.

Während er die Fremden durch die langen Korridore dem Ausgang zu geleitete, dachte er darüber nach, vor wieviel Gefahren ihn doch der Herr behütet habe. – –

Nicht Gefahren des Leibes, denn die hatte er niemals sonderlich geachtet, auch damals nicht, als er dem Bruder seiner Rosetta den Dolchstoß versetzte, an dessen Folgen er schließlich verstorben war. – –

Warum hatte er ihnen auch auflauern müssen?!

Glücklicherweise hatte ihn die Rosetta ja, wie er dann hörte, mit einem anderen betrogen, so daß der Verdacht damals auf jenen fiel – was eigentlich eine gerechte „Strafe” war – und in der Dunkelheit hatte der erzürnte Angreifer, der die Ehre der Schwester rächen kam, nicht zu erkennen vermocht, wen er selbst da erdolchen wollte…

Jetzt war Rosetta lange Jahre schon ein braves Eheweib, hatte ein halbes Dutzend Kinder und schlug gar keusch die Augen nieder, wenn sie an besonderen Festtagen herauf ins Kloster kam, und ihm, dem Frater Isidoro, begegnen mochte. – –

Ja, – es war schwer, in der Welt zu leben und dennoch selig zu werden! – Sehr schwer!

Ewigen Dank der heiligen Jungfrau dafür, daß sie ihm damals, als er nach dem Begräbnis von Rosettas Bruder so inbrünstig gebetet hatte, in den Sinn zu geben für gut fand, daß er als büßen der Bruder hier oben im Kloster doch noch Verzeihung für seine Sünde finden könne! – Auch der vermeintliche Täter war ja, aus Mangel an Beweisen, freigesprochen worden. – –

In solche Gedanken versunken war er mit seinen Fremden wieder an die gleiche Pforte gelangt, die es gestattete, ohne das mächtige Tor zu öffnen, einzelne Besucher des Klosters ein- und auszulassen.

Hier erinnerte er sich wieder seiner Pflicht, gab sein liebenswürdigstes Lächeln, nahm im Namen Gottes dankend die unbesehenen Spenden der Gäste in Empfang, und schloß die Pforte hinter ihnen in einem Gefühl, das dem nicht unähnlich war, das Sankt Petrus haben müßte, wenn er ein paar Teufel durch die himmlischen Thronsäle geleitet hätte, um sie nun endlich wieder los zu sein…

Das Amt als Bruder Pförtner war wahrlich nicht leicht!

So immerfort mit den profanen Weltleuten zu tun zu haben, während man sich doch längst dem Himmel angelobt hatte, – das war halt doch eine harte Pönitenz! – –

 Gott sei Dank! – Heute waren wenigstens keine Gäste mehr zu erwarten!

 

*

 

 Die drei Männer aber umschritten nun, während noch gelegentliche Bemerkungen über das Gesehene fielen, die ausgedehnten Klostergebäude, um endlich auf die äußere Terrasse zu gelangen, von deren herrlicher Aussicht sie soviel gehört hatten.

 Wirklich bot sich jetzt dem Auge ein Rundblick dar, der seinesgleichen – auch in italischen Landen – suchte.

 Von steilster Felsenhöhe herab übersah man weitgedehntes Hügelland, Dörfer, Weiler, einzelne Gehöfte, die in dunkles, graues Grün gebettet waren, wie helle Stickerei in dunklen Samt.

 Zuweilen zeigte das dunkle Grün auch helle, silbergraue Flächen: Olivenhaine, die sich an die Hügellehne schmiegten.

 Aus den Dörfern ragte jeweils der hohe Campanile, und weißen Spinnenbeinen gleich griffen die Wege, Straßen und Pfade, die allesamt von der Ebene her hinauf zu irgendeiner Piazetta führen mochten, gebogen oder eckig geknickt, in das dunkle Land.

Nach der anderen Seite zu ebnete sich das Gelände und lag wie eine Landkarte gebreitet vor dem Blick.

Fern sah man inmitten der Äcker, Wiesen und Gärten etwas rötlich Gelbes, das man flüchtigen Auges für einen Steinbruch hätte halten mögen, wenn nicht geregelt gewinkelte Formen Gestaltung durch Menschenhand verraten hätten.

Das rötliche Gelb gemattet durch einen Schleier opalfarbenen Duftes, den der Rauch der Küchen verstärkte, breitete sich hier die Stadt mit ihren bei näherem Zusehen bald erkennbaren Palazzi und schlanken Türmen, in ihrem Umkreis akzentuiert durch die dunklen Massen der Parke, aus denen helle Flecken: die Villen der äußeren Stadtteile, leuchtend blinkten, oft überragt von schwarzen Zypressenspitzen oder breitausladenden Pinienkronen.

Hohen Horizontes aber umschloß dieses ganze Bild das weithin sichtbare Meer, graugrünlich gebreitet, von der türkisfarbenen Himmelsweite wie von einer unendlich fernen, leuchtenden Wand umschlossen, auf der blaßviolette Streifenwolken einen dünnen Saum zu ziehen suchten.

In der Höhe der Himmelswand vertiefte sich das blasse Blau, ließ immer deutlicher erkennen, daß diese Wand nur ein dünner Schleier war vor der unendlichen Weltennacht die der Erdensonne Licht dem Auge zu verbergen weiß, und hoch oben über dem Scheitel schien dieser Schleier zuletzt so wesenlos, daß man das schwarze Dunkel des Weltenraumes durch ihn hindurch zu erkennen glaubte.

Kein Laut erreichte das Ohr.

Das Auge allein empfing Kunde, so daß man sich leicht der Täuschung ergeben konnte, als stünde man hier vor einem grandiosen Bilde, und nicht als winziger Bewußtseinsträger inmitten eines kaum nennenswerten Umkreises der Oberfläche eines der kleinsten Planeten, der unaufhörlich bewegt, seine Bahn um das lebenspendende ferne Muttergestirn in rasender Eile durchmißt. – –

Die drei Männer fanden sich bewogen, sehr lange schweigend hier zu verweilen, und ohne ein Wort der Verabredung, schien man übereingekommen, die ursprüngliche Absicht, hier das Gespräch des gestrigen Tages fortzusetzen, doch lieber aufzugeben, zumal die Stunde nun zur Heimkehr rief, wollte man noch vor der Dunkelheit die Stadt erreichen.

 Alsbald machte man sich denn auch auf den Weg und erstaunte fast, wie schnell man wieder unten den Rastplatz fand, an dem man des Morgens gelagert hatte.

 Auf dem weiteren Wege sprach man wohl dann und wann ein kurzes Wort, allein es schien, als ob keiner der Drei sich veranlaßt fände, ein weiterzeugendes Gespräch zu wünschen.

 Fast hätte man meinen können, daß sich erst, jener dünnen Quelle an dem morgendlichen Rastplatze gleich, die Gedanken wie das Wasser im Becher sammeln wollten, bevor sie sich darbieten mochten um genossen zu werden. –

 Im Schweigen verdoppelte man unwillkürlich die Schnelligkeit des Schrittes und so kam es, daßman weit eher in die Stadt zurückgekehrt war, als man es vorher hätte vermuten können.

Trotz der reichlichen Wegstrecken dieses Tages fühlten sich aber die Wanderer heute noch viel zu frisch, als daß der Wunsch in ihnen hätte aufkommen mögen, sich für den Rest des Tages oder vielmehr für dieses Tages Abend allein gelassen zu sehen.

 So verabredete man denn, heute den Abendimbiß gemeinsam einzunehmen und es wurde dafür eine Trattoria bestimmt, die berühmt war für Küche und Keller, außer diesen Vorzügen aber noch, obwohl inmitten der Stadt gelegen, eine Pergola besaß, die an einen weiten Garten grenzte, so daß man hier im Freien eine der köstlichen Nächte des Südens zu genießen hoffen durfte.

 Dort – so meinte man – würde sich vielleicht auch Gelegenheit finden, das am Nachmittag versäumte Gespräch allenfalls in der Abendkühle geruhsam nachzuholen.