Das Gebet:

Das Mysterium des Betens

 

Nach altgeheiligter Kunde sollen die Schüler des weisen Zimmermanns, des hohen  «Rabbi»  aus Nazareth, vormaleinst zu ihm gekommen sein mit der Bitte:

«Herr, lehre uns beten!»

Darauf, – so sagt uns der alte Bericht, – habe der gottgeeinte Lebenslehrer sie unterwiesen, nun nicht mehr, gleich den Nichterkennenden,  die  altgewohnten langen Litaneien herzuplappern, sondern nur jene wundersam schönen, einfachen Worte  zu gebrauchen, wie  sie jetzt noch auf aller derer Lippen sind, die sich, nach dieser oder jener  Glaubensform, zu des erhaben großen Gottesmenschen liebeerfüllter Lehre bekennen oder zu bekennen meinen.

Dennoch aber wissen bis auf den heutigen  Tag  nur  gar wenige  Menschen wirklich zu «beten», und noch seltener wird man einen finden, der da erfaßte, was es besagen will, auf jene heilighohe Weise zu «beten», die der große Liebende befolgt wissen wollte. – –

Man kennt nun zwar die Worte, die er, der alten Kunde nach, seine Schüler gebrauchen hieß, – allein, man «plappert» jetzt auch diese Worte nicht anders her, wie vordem andere, von ihm  nicht  sonderlich  gewertete Gebete. –

Es ändert nichts an der Entweihung, wenn man auch in salbungsvollstem Tonfall  spricht, – ja selbst  das andachtsvolle  Nachempfinden  des im Denken sich  erschließenden Sinnes macht aus dem Nachsprechen jener herrlichen Worte noch keineswegs ein wirkliches «Gebet».

So dürfte es  denn wieder nötig geworden sein, zu  lehren was das wirkliche «Beten» in Wahrheit ist, –  zu lehren, wie  aus  Worten menschlicher Sprache  ein «Gebet» erstehen kann, und was sich an tiefem Geheimnis im Gebete verbirgt!

 

 

Die heilige Priesterkunst,  «Gebete» zu schaffen und wirklich zu «beten», ist heute fast verloren gegangen, und wo sie etwa noch in Übung steht, dort wird  sie mechanisch, lebensentlaugt,  oder  abergläubisch betrieben. –

Aber  dort auch, wo  man noch  zu beten meint, sieht man im Gebete nur die Bitte an die Gottheit, den Ausdruck des Dankes, oder  die Lobpreisung, und weiß nicht mehr, daß  alles dieses zwar im Gebete zu finden  sein kann, aber mit nichten das Wesen des Gebets ausmacht. – –

Man ahnt nicht mehr, daß auch ein Gefüge  herrlichster Worte des Lobes, des Dankes oder der Bitte erst wirklich «gebetet» werden muß,  bevor es zum «Gebete» werden kann. –

 

 

Daß «Gott» nur in uns selbst für uns  erreichbar ist, – daß nur in unserem  Allerinnersten das Herz  des reinen,  ewigen Seins sich selber «wiederzugebären» vermag  in  unendlichfältiger,  individueller  Selbstzeugung: – das  ist  die erste und unumgänglichste Erkenntnis, zu der sich jeder erst durchgerungen  haben muß, der wahrhaft «beten» lernen will! –

Zugleich aber muß er wissen, daß der  urewige «Vater», – wie immer der  Gläubige dieses Wort sich deuten mag, – weder Dank noch Lobpreis nach  menschlicher Art begehrt, – und daß  es Lästerung wäre, wirklich zu glauben,  das Herz des Seins erwarte erst menschliches  Flehen, um sich  durch ein  solches  «Bitten» schließlich «erweichen »zu lassen, – denn «Bitten», im Sinne des wahren Betens, ist wahrlich etwas sehr wesentlich Anderes als das Erbettelnwollen, mit dem so mancher vor  den «Gott» seiner Vorstellung tritt. – –

Ich betone hier das Wort vom «Gotte» der Vorstellung, da leider die allermeisten Menschen nicht weiter gelangen als bis zu solchem Gebilde ihrer Vorstellungskraft, weil sie aus unzureichender oder irriger Belehrung meinen,  der Weg zu Gott müsse hoch hinauf, aber immer nach außen führen. –

So  können  sie  freilich  lebendige Gottheit niemals erfühlen, da sie ja dort nicht suchen, wo der lebendige ewige Gott für sie allein erreichbar wäre.

 

 

Es wurde jedoch,  nach der alten Kunde, auch gesagt:

«Suchet, so werdet ihr finden!»

«Bittet, so werdet ihr empfangen!»

«Klopfet an, so wird euch aufgetan!»

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Hier  wollen wir verweilen und  in aller Stille  harren, bis das Geheimnis, das in diesen Worten sich verbirgt, vor unserem inneren Auge sich entschleiern will…

Ich aber will  derweil versuchen,  in Worten  aufzuzeigen,  was  sich  zeigen läßt!

 

*

 

«Suchen» kann gewiß nur dann zum Finden führen,  wenn  dort  gesucht wird, wo tatsächlich das Gesuchte  auch verborgen liegt! –

«Bitten», in dem hier gemeinten Sinne,  der  da jegliches «Erbetteln» völlig ausschließt, wird Empfangen nur erwirken können, wenn der also  Bittende empfangs-berechtigt ist! –

«Klopfen» aber, um im Hause Zutritt zu erhalten, hat dann nur Aussicht auf Erfolg, wenn jener, der da klopft, auch völlig sicher ist, wo er zu klopfen hat, und dorten dann in solcher Weise anzuklopfen weiß,  daß man im  Hause ihn  vernimmt und alsogleich erkennt als einen, der da Einlaß zu erwarten hat! –

Hier sind jedoch «Suchen», «Bitten»  und «Klopfen» keineswegs zu trennen, denn nur in ihrer Vereinung ergeben sie das – «Gebet»! –

 

 

Wohl dem, der so zu «beten» weiß!

Er wird «erhört»  sein, während er noch «anklopft»!

Er wird alsbald «empfangen», während er noch «bittet»!

Er  wird mit aller  Gewißheit «finden», was er auf solche Weise« sucht», daß es zu finden ist!

In seinem Allerinnersten wird dieser Betende erfahren, was des großen Lebensbringers Wort besagen will, das er einst denen sagte, die er weit genug gefördert glaubte:

«Um was immer ihr den «Vater» in meinem «Namen» bitten werdet, das wird er euch geben!»

Hell wird sich dem Beter offenbaren, was das Preiswort enthält:

« Geheiliget werde Dein «Name»!»– und endlich wird er erkennen, warum der Meister einst in seinem «Namen» bitten lehrte, denn:

«Alles, was der «Vater» hat, ist mein!»

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So wird der also Betende denn auch im klarsten Geisteslicht erkennen, daß alles «um was immer» man den «Vater» in seiner Selbstdarstellung «Namen» bitten kann, schon von aller Ewigkeit her gegeben und dargeboten ist, obwohl es der «Bitte» bedarf, um zeitlich auch  «in Erscheinung» zu treten, – um zeitlich Wahrnehmbar es zu bewirken…

Es lernt aber keiner solcherart «beten», außer denen, die ihren Eigen-Willen völlig mit des  «Vaters» Willen zu vereinen wissen. –

Wer dann aber, mit des ewigen «Vaters» Willen vereint zu «beten» weiß, dem wird all sein Beten, – um was immer er beten mag, – ein Beten um «Flügel» sein: – um jene Flügel, die da wahrlich «höher tragen als Adlerschwingen»!