Scheinbar ist es recht überflüssig, hier aufs neue diese Frage zu stellen.
Alte und neue Deuter des seltsamen Werkes, das den Namen Böhmes trägt, haben sich bald mit mehr, bald mit weniger Glück auch mit der Deutung des Menschen beschäftigt, der hinter diesem Werke steht.
Daß Böhme — außer dem was er war — auch Schuhe nähen konnte, wissen selbst Leute, die nie eine Zeile von ihm gelesen haben, und wenn auch gewisse Deuter seines Werkes von dem Urheber als dem „Görlitzer Schuster” sprechen, so ist das — bestenfalls — Geschmackssache, wenn man nicht mit mir der Ansicht zuneigt, daß zwar die Schuhmacherei ein sehr ehrenwertes Handwerk ist; daß auch dieser Handwerkerstand recht stolz sein kann auf seinen berühmten Zunftgenossen; daß es aber gewiß nicht „geistige Nähe” verrät, wenn man dem abgründig tiefen Geisteskünder Jakob Böhme gegenüber, auch nur an das alltägliche Tun erinnern mag, mit dem er sein Brot verdiente. — —
Allerdings hat es auch niemals an Menschen gefehlt, denen das Wesentliche eines geistig so bedeutenden Menschen wahrlich nicht durch seine irdische Erwerbstätigkeit bestimmt erschien, — denen es belanglos blieb, daß dieser Lehrer außerhalb der abgesteckten Pferche landläufiger Bildung aufgewachsen war.
Böhme selbst aber zeigt nur zu deutlich in seinen Schriften, wie sehr er es als Mangel fühlte, daß ihm die Gelehrsamkeit seiner Zeit nicht zu eigen geworden war, und bis an das Ende seines Lebens müht er sich, der gelehrten Freunde Begriffswelt zu erfassen: in den Worten, die er bei ihnen hört, von seinem eigenen Schauen und Denken Kunde zu geben.
Die Nötigung, das einmal erlernte Handwerk betreiben zu müssen, um nur leben zu können, war ihm eine stete Störung, und alles, was man um seine äußeren Lebensumstände weiß, zeigt deutlich, wie sehr er sich dieser Störung zu entwinden suchte, um nur dem inneren Antrieb seines hohen Geistes folgen zu können.
Will man das Geistesgut, das sich in dem Menschen Jakob Böhme seinen irdischen Schrein geschaffen hatte, wirklich erkennen lernen, dann darf man wahrhaftig den Schriften des Weisen sich nicht in der vorgefaßten Meinung nahen, hier nun den mehr oder weniger hausbackenen Ergebnissen des sinnierenden Grübelns eines biederen Handwerksmannes zu begegnen, der bei seiner Schusterkugel vergißt, daß er brauchbares Schuhwerk schaffen soll und statt dessen lieber den mancherlei metaphysischen Fragen Antwort sucht, die sein frommes Gemüt nicht in Ruhe lassen wollen.
Das sei allen gesagt, die zwar den Namen des Weisen kennen, aber seine Schriften nicht gelesen haben, oder sie gar bald aus der Hand legten, weil sie Anstoß nahmen an dem dunkeln Wort der freilich oft sehr eigenmächtigen und seltsam tönenden Redeweise!
Wer aber Böhmes Schriften wirklich durchforscht hat, — wer es sich Mühe kosten ließ, in ihre Sprache sich einzuleben, — der hat stets auch gelernt, sich vor dem Manne, der solches niederschreiben durfte, in Ehrfurcht zu beugen, und es ist längst bezeugt, daß diese Ehrfurcht sich gerade dort am stärksten einstellt, wo eigener Seele Tiefe aufklingt, sobald die wundersamen Schätze erst ertastet werden, die Jakob Böhmes Weltentiefe in sich birgt…
Das gilt allerdings nur von seiner Erkenntnis der rein geistigen Welt!
Aber trotz der Fehlgriffe in die Gebiete des physisch-sinnlichen Universums, bei denen er sich von anderen das Hebezeug borgt, trotz aller zeitlichen Bedingtheit seiner Folgerungen, — und selbst trotz aller Ketten fesseln dogmenstarrer Religionsform, steht einer der Weisesten hier vor uns, unter denen, die jemals die letzten Urtiefen menschlichen Erkennens zu ergründen suchten! —
Ein „Brunnenbauer”, der seinen Schacht bis zu den Urwassern des Lebens vertiefte!
Wer immer den Mut aufbringt, in diesen Brunnenschacht niederzusteigen, — denn es ist kein angeseilter Eimer da, mit dem er etwa schöpfen könnte, der wird die Bestätigung finden, daß er nur in sich selbst einen Schacht von gleicher Tiefe zu bauen brauchte, um auf die gleichen lebendigen Quellen auch in sich selbst zu stoßen…
Wer freilich hängen bleibt in dem Wurzelwerk religiöser Allegorien, das an den Wänden des Brunnenschachtes, den Böhme in sich selbst hinein baute, immer noch Halt findet, um den Arglosen in sein Gewirre zu verstricken, der wird froh sein können, weiß er sich endlich wieder befreit, und die Wasser der Tiefe werden ihm nur sein eigenes verstörtes Antlitz spiegeln. —
Dies alles sei zuerst ausgesprochen, bevor ich der Frage antworten kann, wer dieser seltsame und auf seine Art der Welt des Geistes so kundige Seher Jakob Böhme war, dem neuere Forschung endlich den Rang in der Geistesgeschichte der Menschheit zuweist, der ihm gebührt, auch wenn es ihm nie an Verehrern fehlte, denen bald diese, bald jene Seite seines Wesens staunenswert erschien, weil keiner das ganze Bild dieses großen Menschen in sein Blickfeld fassen konnte. —
Die Antwort, die ich hier nun zu geben habe, gilt nur der geistigen Herkunft Böhmes, so wie ich sie kenne aus gesichertem Erkennen, und was mir da nun zu sagen möglich ist, wird denen verstehbar sein, die bereits erkannten, daß alles geistige Geschehen hier auf Erden nur letzte Auswirkung aus der Liebe geborener hoher Impulse im Reiche des wesenhaften Geistes darstellt. —
Man wird sich alles dessen erinnern müssen, was ich bereits unzählige Male zu bekunden hatte, wenn ich davon sprach, daß Göttliches nur durch den Menschengeist dem Menschen faßbar werden kann, und daß aller Einfluß, den die Erdenmenschheit aus dem Reiche des wesenhaften Geistes empfängt, von einem unsichtbaren Tempel hier auf Erden ausgeht, dessen fundamentbildende Bausteine Menschen dieser Erde sind, die gleichzeitig, vollbewußt und ohne jeden Unterbruch — trotz allem irdischen Tun, — im reinen Geiste leben. — —
Von dort her ward auch Böhme zu seinem Wirken geführt! —
Als geistiger „Schüler” des von mir so oft bezeichneten verborgen wirkenden geistigen Kreises erstieg er Stufe um Stufe, soweit es ihm während dieses Erdenlebens möglich war, und er selbst wußte wahrlich, woher ihm seine Erleuchtung kam.
Nach außenhin aber war er durch strenges Gebot zum Schweigen verpflichtet.
Er selbst war ja nicht dazu bestimmt, hier auf Erden im Kreise der „Leuchtenden des Urlichts” ein Leuchtender zu werden.
Allzu irdische Flammen umlohten in ihm noch das goldweiße Licht des göttlichen Geistes, und keineswegs lag jene geistige Entfaltung, die Jahrtausende währt und die jeder „Leuchtende” erreicht haben muß, bevor er sich im Erdentiereskörper hier erlebt, schon hinter ihm, als er ins irdische Dasein trat.
Was aber ein wahrhaft würdiger Mensch erlangen kann, der „angenommen” wurde, um ein Schüler des Lichtes zu werden, das hat Jakob Böhmes Werk der Welt gezeigt, obwohl sie nicht darum wissen konnte, woher die Kraft zum Werke zugeflossen war…
Unmöglich war es den Deutern von Böhmes Schriften, über die ursächliche Bedingung seiner Seherschaft Authentisches zu wissen, — unmöglich war es ihnen, auch nur zu ahnen, daß in ihm eine geistige Leitung wirksam war, von deren Dasein auf der Erde stets nur einige wenige, die nicht reden durften, Kenntnis erhalten hatten. — — —
Und dennoch ist es nicht unmöglich, daß Böhme vertrauten Freunden einst eine ihm noch erlaubt erscheinende Andeutung machte, die zu einer späteren Erzählung seines ersten Biographen Anlaß gab, einer Erzählung, mit der man heute nichts mehr anzufangen weiß, so daß man in ihr nur die Mythenbildung am Werke glaubt.
Beachtlich dürfte es daher wohl sein, daß der Lebensbeschreiber und Freund Böhmes zu berichten weiß:
„Und kan wohl seyn, daß auch von außen durch Magisch-Astralische Würkkung der gestirnten Geister, zu diesem heiligen Liebe-Feuer, gleichsam ein verborgener Glümmer und Zünder mit anund eingelegt worden.”(*)
(*)Ich lasse hier mit Absicht die Worte, auf die es an kommt, kursiv drucken, während ich im übrigen wörtlich nur dem Original folge.
Es liegt zum mindesten sehr nahe, daß der Biograph einiges von den wirklichen Zusammenhängen ahnte, wenn er nicht gar, aus andeutenden Reden Böhmes, mehr wußte, als er sagen wollte. — —
Zweifellos gibt es für jeden, der hier den wirklichen Zusammenhang durchblickt, doch sehr zu denken, daß im Anschluß an obiges Zitat erzählt wird, wie einstmals „ein frembder, zwar schlecht bekleideter, doch feiner und ehrbarer Mann” in Böhmes jungen Jahren zu ihm in den Laden seines Meisters getreten sei, während Böhme dort allein war, und daß dieser Mann ihn dann plötzlich, trotz aller Unbekanntheit, beim Namen genannt habe, nicht ohne Böhme dadurch sehr zu erschrecken.
Dann aber heißt es weiter:
„Da ihm der Mann eines Ernst-freundlichen Ansehens, mit Liecht-funckelten Augen, bey der rechten Handt gefasset, ihme strack und starck in die Augen gesehen und gesprochen: Jakob, du bist klein, aber du wirst groß und ein gar anderer Mensch und Mann werden”…usw. usw.
„Worauff der Mann ihme die Hand getrücket, wiederumb starck in die Augen gesehen, und also seinen Weg für sich gangen.”
Es wird dann im gleichen Zusammenhang noch berichtet, wie Böhme daraufhin anders geworden, und „nach weniger Zeit darauff” sei dann seine Erleuchtung, sein „Geistlicher Außruff und Sabbaths-Tag… erfolget.”
So ferne es mir auch liegt, rechten zu wollen darüber, welchen Wert man dieser Erzählung zuerkennen soll, so glaube ich doch, daß hier ein Hinweis immerhin nicht ganz fehlen darf. —
Da ich mir nicht die Aufgabe stelle, Böhmes Schriften deuten zu wollen, so darf ich es aber auch wohl bei diesem einen Hinweis bewenden lassen, trotzdem ich es durchaus nicht für unmöglich halte, daß gründliche Kenner dieser Schriften mir auch in Böhmes eigenen Texten so manche geheimnisvolle Stelle zeigen könnten, die hier genannt werden dürfte. — —
Es möge genügen, die Aufmerksamkeit der Leser auf das Erwähnte hingelenkt zu haben.
Was aber hier ausdrücklich gegeben werden soll, ist die nur aus einer einzigen Quelle erlangbare Darlegung von Böhmes geistiger Herkunft und wurde veranlaßt durch die stets wiederholte Beobachtung, daß auch die besten Erklärer des geistigen Phänomens Jakob Böhme, weder den Menschen restlos zu deuten vermögen, noch die Schriften, solange sie nicht um die Beziehungen Böhmes zu dem geistigen Kreise der „Leuchtenden des Urlichts” wissen.
Die Gründe, durch die einst der weise Seher selbst zum Schweigen verpflichtet wurde, bestehen heute längst nicht mehr, und seinen Schriften wird nur die Wirkung erleichtert, wenn man um seine geistige Herkunft weiß und ihre Spuren in seinem Werke richtig deuten kann.
Was zeitlich und allzupersönlich bedingt war an seinem Werke, — was einer Vorstellungswelt entstammt, mit der er fertig werden mußte, wollte er nicht noch weit herberes Leid durch deren Anhänger erdulden, als sie schon ohnehin ihn erdulden ließen, — das alles läßt sich aus diesem Werke lösen, ohne ihm irgendwie Wesentliches zu nehmen.
Was aber als Wesentliches bleibt, das wurde vor mehr als dreihundert Jahren wahrlich auch für die heutige Zeit geschrieben!
Niemals kann es veralten, da es der Ewigkeit entstammt: — dem immer-währenden „Heute”!
Jakob Böhme gab dem Schauen seiner Seele nur die Wortgestalt, in der es für ihn selber bleibend faßbar und be-haltbar werden konnte, da er ja nicht Herr und Meister dieses Schauens war, sondern immer warten mußte, bis es ihm aufs neue vom Reiche des Geistes her eröffnet wurde, so daß ihm das jeweils Erschaute in Gefahr geriet, wieder verloren zu gehen. — — —
Es ist nicht zum Verwundern, wenn er wirklich Wesentliches oft so kraus und wirr verzierte, weil ihm nur solche Arabeske Unsagbares formhaft zu umschließen schien.
Als ein naturhaft starker Sprachgestalter in der Weise seiner Zeit, zwang er die Worte, seinem bildhaften Erleben Form zu werden, und es bekümmerte ihn wenig, wenn die Worte sich auch sträuben mochten, die Überfülle seiner inneren Gesichte aufzunehmen.
Aus seinen Worten auszulösen, was sie fassen, wird stets nur liebender Versenkung möglich sein. — — —