Wühle nicht in deinem Schmerz und reiße Wunden, die vernarben wollen, nicht immerfort von neuem auf, wenn du die Kraft des Trostes in dir selbst erlangen willst!
Weise jedem die Türe, der da kommt, um dich zu „trösten” und nichts Besseres weiß, als frische Gräber aufzuscharren! –
Was einmal erlebt ist, will Ruhe finden in dir, damit es in deine tiefste Tiefe sinke.
Nur wenn es unverlierbar in deiner Seele Tiefe ruht, wird es dir zu lebenzeugendem Gewinn.
Alles Leid ist nur in seiner Macht, solange du es hegst und willig seine Herrschaft anerkennst! –
Wenn du, nachdem du es empfunden und erlitten hast, ihm keine Macht über dich mehr zugestehst, dann ist seine Macht zu Ende! –
Darum sucht es dich immer von neuem an sich zu erinnern!
Wie alles Vergängliche möchte es länger in Macht und Wirkung sein als seine zugemessene Zeit dies zulassen will. –
Dazu aber bedarf es deiner, denn es ist nicht ohne dich!
Um dir wert zu werden, wählt es stets die besten Masken...
Wie hat es die Hirne der Menschen zu allen Zeiten umnebelt, um ihnen als Götterbote, ja als Zeugnis göttlicher Liebe zu gelten! –
So hat man es gar lieben gelernt und dabei nicht geahnt, daß man – nach eingewobenem Gesetz der Kräfte dieses Universums – durch solche Liebe nur das Leid auf dieser Erde mehrte...
Es gibt aber unsichtbare Gewalten in diesem Kosmos der Kräfte, die daran allergrößtes Interesse haben, daß der Mensch der Erde leide, da sie sich aus des Menschen Kräften nähren und erneuern, und da der Mensch zu keiner anderen Zeit so willig ihnen seine Kräfte überläßt, als wenn er sich im Leide findet. –
Je mehr sein Leid aus einem Empfinden, das er selbst noch beherrscht, zu seinem Beherrscher und Tyrannen wird, desto leichter wird es jenen Unsichtbaren, seine Kräfte, die sie brauchen, ihm zu entziehen.
Darum versuchen sie, was da in ihre Macht gegeben ist, um ihn nur möglichst lange in seinem Leide zu erhalten...
Nicht umsonst sagt man von einem, der lange litt: – er ist von seinem Leide „entkräftet”. –
Wahrhaftig, man hat ihm seine Kräfte nach allen Regeln ausgesogen, während er sein Leid fast mit Genuß zu hegen wußte und ihm die schönsten Namen gab, um es ins Heilige erhöht, und sich so recht in seines Leides Macht zu fühlen. –
So liefert selbst sich der Mensch als Beute aus, an jene Werwölfe und Vampire der unsichtbaren Welt der siderischen Kräfte! –
Soll diesem Treiben aber endlich Einhalt werden, dann muß, bewußt des wirklichen Geschehens, alle Lust am Leiden aus den Seelen schwinden, und solche „Lust” ist mehr in allem Leiden, als die allermeisten, die da leiden, auch nur ahnen. –
Wohl ist gewiß keine „Lust” vorhanden, in das Leid zu gelangen!
Auch in der Leidempfindung, die der Mensch noch zu beherrschen weiß, ist wahrlich keine „Lust”!
Allein, sobald das Leid den Menschen überwältigt, also daß er weiter leiden will, folgt er, und wenn er es auch keineswegs erkennt und eingestehen könnte, einer dumpfen Lust, die ihn verleitet, immerfort aufs neue seine Wunden aufzureißen, damit an seinem Blute sich die Unsichtbaren laben können, die als ekle Parasiten sich von seinen Kräften nähren.
Ihnen gilt es zu entrinnen, und wenn auch nie das Leid von dieser Erde schwinden wird, so läßt sich doch solcherart dann wirklich auf das Äußerste beschränken, was die Gesetze dieser äußeren Erscheinungswelt in ihrer Auswirkung, als beigegebene Folge, zeitigen müssen.
Alles was diese Folge übersteigt – alles was außer ihr liegt, soweit sie begründet ist in „naturnotwendigem” Geschehen – kann aus dem Leben der Menschen allmählich ausgeschieden werden und wird es im Leben eines jeden Einzelnen, wenn jeder für sich selbst erkennt, daß er sich nur den unsichtbaren Unholden zum Opfer bringt, solange er dem Wahn ergeben bleibt, der seit Jahrtausenden das Leid der Erde heiligspricht. –
Doch deute man meine Worte auch nicht irrig!
Wohl weiß ich Ehrfurcht in mir vor jedem Leidenden, der großes Leid, das ihn betroffen hat, mit hoher Menschenwürde trägt, solange er es tragen muß, um es alsdann zu überwinden und in sich den starken Trost zu finden, der ihn zu neuem gesteigertem Leben ruft, und der durch keine „Tröstung”, die von außen kommt, gegeben werden kann.
Allein ich warne vor der Hingabe an das Leid und vor dem grenzenlosen Irrtum, der da im Leide etwas „Heiliges” und „Gottgewolltes” sieht, während alles Leid nur Lüge und Übel ist – selbst dort nur nothafte
Un-Vollkommenheit, wo es als unvermeidbare Folge der Gesetze dieser irdischen Erscheinungswelt erduldet werden muß. –
Ich erachte es als eine grobe Blasphemie, wenn man sich nicht entblödet, einen ewigen „Gott”, von dem gesagt ist, daß er die Liebe sei, den unsichtbaren Vampiren gleichzusetzen, die sich im Dunstkreis dieser Erde aus den Kräften des Menschen nähren indem man unbewußt lästernd zu sagen weiß:
„Wen Gott lieb hat, den züchtigt er.” –
Wäre nicht eines Weisen Torheit dieses Wortes Vater, dann wäre es ein Verbrechen an der Menschheit zu nennen ! –
In seinen Auswirkungen allerdings ist es gewiß nichts anderes, und gut wußten jene Unsichtbaren, die es einstens einem Menschenhirne einzublasen verstanden, dafür zu sorgen, daß aus der Torheit, die es aufnahm, stetig weitergehendes Verbrechen werde...
Wer sich nicht schuldig machen will des Unheils, das aus diesem Worte schon geboren wurde und noch geboren werden kann, da es den Menschen dieser Erde das Übel lieben und hegen lehrt, der trage mutig, herb und würdebewußt das Leid der Erde, das er tragen muß, bis er es jeweils überwunden hat, aber er vermesse sich nicht – dadurch verführt, daß ihm die Art, wie er es trägt, zur Läuterung werden kann – das Übel selbst als „gottgewollte” Schickung aufzuwerten! –
Es ist nicht „Schickung”, sondern jeweils Folge unabänderlicher Geschehensabläufe in dieser irdischen Erscheinungswelt, soweit es nicht unbewußt herbeigezogen wird und vermehrt, durch die Kraft des Glaubens an seine „Gottgewolltheit” und „Heiligkeit”. –
Magst du im Leide sein oder dich leidfrei wissen zu dieser Zeit – stets sage dir an jedem deiner Tage:
„Alles Leid ist ein Übel, das ich überwinden muß!”
„Alles Leid ist ein Übel, und ich bitte im Geist, daß ich vor ihm Bewahrung finde, soweit es
irdischer Geschehensablauf zuläßt!”
„Alles Leid ist ein Übel, und ich will nicht dem Übel Zuwachs geben auf der Erde, sei es durch
meine Furcht, die es anzieht, sei es durch meinen Glauben an seine vermeintlich heiligende Kraft!”
Wie alles, was du zu erleben hast, dir dienen kann, dich in deinem Erleben zu bewähren, so auch das Leid; jedoch wirst du noch keinen je gefunden haben, der sich in anderem Erleben nicht in Bewährung erwiesen hätte und dann im Leide plötzlich Größe offenbarte.
Wenn es dir dennoch so scheinen möchte, so hattest du gewiß vorher das Erleben eines solchen Menschen irrig gewertet!
Doch darfst du niemals vergessen, daß jedes Erleben den Menschen fördern kann, und ich sage hier nicht, daß im Erleben des Leides keiner gefördert werden könne – allein, es ist mitnichten das Leid, das ihn fördert, sondern des Menschen Erlebnis-Einstellung, die auch noch im Leide offenbaren kann, was wahren Wertes ist in ihm. –
Die vielgepriesene „Schule des Leidens” hat freilich manchen stolzragenden Geist gebrochen, so daß er „zu Kreuze” kroch; allein, man blende sich nicht selbst und prüfe erst, ob solche Schulung wirklich den Menschen zu seiner höchsten Entfaltung brachte, oder ob er nur müde wurde und mürbe, und so zerschlagen, daß er sich nicht mehr voll hohen Mutes erheben konnte! –
Gar oft wird müder Verzicht dir wie unbegreifliche Güte erscheinen, wo nur ein Wille im Leid zerbrach – wo jeder Wunsch seine Triebkraft verlor – wo durch die Unfähigkeit, zu überwinden, jeder Erdenwert entwertet wurde...
Verdächtig dürfen dir alle erscheinen, die angeblich durch das Leid erst zu „besseren Menschen” wurden! –
Entweder: sie waren vorher schon weit besser, als du annehmen wolltest, verstanden so die Forderung des Schicksals und stiegen über das Leid hinaus zu neuem Beginnen, oder aber du siehst Zerbrochene, deren müde, gewährende Geste nun wie „Güte” wirkt. –
Die Menschen, die das Leid bis in seine Tiefe kosten, um alsbald sich zu erheben und das Leid zu überwinden – empor über sich selber blickend und mutigen Schrittes neuem Beginnen entgegenschreitend, werden dir oft kaum vom Leiden berührt erscheinen, und doch sind sie es, denen vor allen anderen aus dem Leide Segen erwächst. –
Sie sind die Menschen, die in sich selber die Kraft des Trostes fanden und sie in ihrem Wirken für sich selber offenbaren. –
Schwerlich aber werden sie der Torheit verfallen, das Leid, das ihnen widerfahren ist, für einen Beweis der Liebe des Himmels zu halten. –